Katrin Seddig Fremd und befremdlich: Wir haben mordende Männer zu Psychopathen gemacht
Katrin Seddig ist Schrift-stellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Das Dorf“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.
Hintergrund sollen Beziehungsstreitigkeiten sein.“ So was liest man in der Presse, wenn ein Mann eine Frau ermordet. Tja, denkt man sich, was streiten die sich auch. Man denkt an keifende Nachbarn, an ausufernde Gemeinheiten, asoziales Pack. Es gibt das gern benutzte Wort: „Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.“ Selbst Schuld, wer sich auf so jemanden einlässt. Da ist Ärger ja vorprogrammiert. Und so weiter und so fort. Selbst Schuld ist immer das Beste für alle anderen, für die Gesellschaft, selbst Schuld. Die Gesellschaft, das sind nämlich wir. Das bin ich. Ich bin doch nicht Schuld daran, dass ein Typ in Hamburg-Heimfeld in die Wohnung seiner „ehemaligen Lebensgefährtin“ einbricht und mit dem Messer auf sie einsticht?
„Hintergrund sollen Beziehungsstreitigkeiten sein.“ Ich nehme an, man muss immer irgend etwas über den Hintergrund sagen. Der Hintergrund ist eine Art Erklärung für das, was passiert sein soll. Nehmen wir an, ein Einbrecher bricht in ein Haus ein, um dort Wertsachen zu stehlen. Nehmen wir an, der Einbrecher ermordet den ihm in die Quere kommenden Hausbewohner. Dann müsste das analog heißen: „Hintergrund sollen Vermögensstreitigkeiten gewesen sein.“ Ich nehme schließlich an, sie waren sich, bevor der eine ermordet wurde, nicht einig darüber, ob die Wertsachen mitgenommen werden dürfen oder nicht.
Wenn wir tatsächlich noch nichts weiter über ein Verbrechen wissen können, dann können wir aber manchmal wenigstens etwas über den Hintergrund erfahren. Den Hintergrund bestimmt ja nicht das Gericht. Der Hintergrund ist das Haus, in dem wir uns eingerichtet haben, die Farbe, auf dem unser Bild gemalt wurde. Erschreckend ist für uns ja vor allem, wenn Dinge passieren, die auch uns hätten passieren können, weil auch wir in solch einem Haus wohnen.
Wenn der eine Partner dem anderen Partner Gewalt antut, ist in der Regel der Grund der, dass der eine nicht möchte, was der andere möchte. Dass die eine, zum Beispiel, mit dem anderen gar nicht mehr in einer Partnerschaft sein möchte. Der Grund ist oft, dass eine Partei gar keinen Bock mehr auf Streitigkeiten hat. Dass sie sich diesen Streitigkeiten entziehen möchte. Ich habe das selbst schon erlebt. Ich denke, jeder kennt so etwas, wenn die eine Partei auf einem Streit besteht, auf einer Auseinandersetzung, die andere Partei aus verschiedenen Gründen das aber nicht mehr will.
Ablehnung ist ein scharfes Schwert für die Seelen unserer ablehnungsungeprüften Männer, wie es scheint, wenn man sich die Statistiken ansieht: Etwa 25 Prozent aller Frauen sind (in Europa) in der Partnerschaft von körperlicher oder sexueller Gewalt betroffen (Europäische Grundrechte-Agentur 2014). Mehr als 82 Prozent der von Gewalt in der Partnerschaft, Mord und oder Totschlag betroffenen Opfer sind Frauen, etwa die Hälfte (49,1 Prozent) lebte mit dem Täter zusammen (Deutsche Polizeiliche Kriminalstatistik für das Jahr 2017).
Wir alle haben also ein Problem. Wenn ein Mensch einen anderen Menschen umbringt, dann liegt das nicht an Beziehungsstreitigkeiten, sondern daran, dass dieser Mensch mit Zurückweisung oder anderen persönlichen Enttäuschungen nicht klarkommt. Es liegt daran, dass er ein Mörder ist. Wir alle werden schließlich manchmal nicht genug geschätzt, wir werden zuweilen auch vor den Kopf gestoßen, und uns fehlt immer mal wieder Liebe und Zuwendung, wir werden enttäuscht und zurückgewiesen. Wir alle haben unsere Verletzungen, aber wir bringen deshalb niemanden um.
Wenn einige Menschen, in der Mehrzahl männlichen Geschlechts, das aber doch gar nicht mal so selten tun, dann liegt das auch daran, dass sie sich falsch entwickelt haben, dass wir sie falsch erzogen haben, das wir ihnen eine falsche Vorstellung von dem, was ihnen zusteht, gegeben haben. Wir haben sie zu nicht konfliktfähigen Psychopathen gemacht, wir, unsere Gesellschaft. Und da müssen wir endlich darüber nachdenken, was mit dieser, unserer Erziehung nicht stimmt.
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