Katrin Seddig Fremd und befremdlich: Hemmungslos nach Gästelistenplätzen zu fragen, ist schäbig
Katrin Seddig ist Schrift-stellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Das Dorf“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.
Ich bin Mitglied einer Lesebühne, und ich habe selbst sowohl als Lesende als auch als Besucherin an vielen Lesungen teilgenommen. Ich kenne die Erwartungshaltung der Menschen, die gerne eine Freikarte hätten. Oder einen Platz auf der Gästeliste. „Habt ihr ‘ne Gästeliste? Kannst du mich auf die Gästeliste setzen lassen?“ So wird man selbst dann zum Beispiel angesprochen.
Ich persönlich habe diese Frage noch nie gestellt. Wenn ein Bekannter oder eine Freundin von mir Veranstalter sind, dann bezahle ich selbstverständlich meinen Eintritt. Ich weiß nämlich, dass „Freikarte“ nur ein hübscher Begriff für „umsonst“ ist. Dass es bedeutet, dass ich für eine Leistung nicht bezahlen möchte. Ich möchte für diesen Gegenwert, für eine künstlerische Leistung, einfach nichts ausgeben müssen.
Für eine Lesebühne bedeutet das, dass das Geld, das am Ende an die Lesenden verteilt wird, weniger ist. Es bedeutet also nichts anderes, als den Künstlern das Geld wegzunehmen. Und es macht deutlich, wie man dazu steht, zu der ganzen Sache: Man interessiert sich nicht dafür, nur den Veranstaltenden zuliebe ist man gekommen. Die Sache an sich ist einem nichts wert und deshalb möchte man auch nichts dafür ausgeben. Niemand würde natürlich sagen: Gibst du mir zehn Euro, wenn ich zu deiner Veranstaltung komme? Aber genau das bedeutet es, wenn man keinen Eintritt zahlt.
Freunde und selbst lose Bekannte fragen völlig hemmungslos nach Gästelistenplätzen. Diese Haltung ist nichts anderes als schäbig, wenngleich in der gesellschaftlichen Wahrnehmung nicht so bewertet. Etwas anderes ist eine echte Einladung. Freunden gibt man gern, vorausgesetzt, sie erwarten dieses Geschenk nicht als ein dauerhaftes Selbstverständnis.
Ich habe in etlichen Büros gearbeitet, und da gab es immer Freikarten für große Veranstaltungen. Freikarten für große Veranstaltungen sind etwas, das über die Geschäftswelt verstreut wird wie Taubenfutter. „Wollt ihr Freikarten? Wir können euch Freikarten besorgen.“ Augenzwinkern. Sogar für ausverkaufte Fußballspiele gibt es immer Freikarten, wenn man jemand Wichtiges oder Halbwichtiges ist. Freikarten für Großveranstaltungen gehören zur Geschäftswelt wie das Olivenöl zum Italiener. Freikarten sind ja kein Geld. Niemand würde einem Geschäftspartner Geld anbieten.
Freikarten kommen immer gut an. Macht es die Geschäftspartnerin geschmeidiger, wenn man ihr ein paar Freikarten anbietet? Vielleicht. Man kann ihr ja schlecht Geld geben. Aber mit Freikarten kann man sie überschütten. Freikarten sind keine Geldscheine. Freikarten sind in der Welt der Geschäfte als etwas akzeptiert, das nicht mehr bedeutet als ein Augenzwinkern, ein Schlag auf die Schulter, ein netter Spruch. Selbst dann, wenn diese Freikarten in der realen Welt einen durchaus finanziellen Gegenwert besitzen.
Freikarten scheinen diesen Wert nicht zu besitzen, sie sind mehr nur eine Freude, die einem jemand macht. Ein Gefühl, das man jemandem verschafft. Und dies sind bekanntlich Dinge, die mit Geld gar nicht zu haben sind. Warum hierzulande in dieser Hinsicht von den meisten Menschen so irrational gedacht wird, ist mir, auch als Veranstalterin, ein Rätsel.
Die Hamburger Bezirksamtsleitung Nord hat sich anscheinend mit dieser sorglos unbedarften Haltung jetzt in die Nesseln gesetzt. Einen Haufen Freikarten sollen sie bekommen haben, für Großkonzerte, die sie selbst im Stadtpark zu genehmigen hatten. Ermittlungen gibt es, die CDU fordert gar eine Regierungserklärung. Dabei muss es nicht unbedingt einen Zusammenhang zur Genehmigung gegeben haben, zum Preis, zu den Auflagen. Vielleicht lief es sogar alles sehr korrekt ab.
Ich könnte mir vorstellen, dass es einfach nur diese gewöhnliche Gästelisten-Mentalität war. „Habt ihr ‘ne Gästeliste? Kann ich ‚‘ne Freikarte haben?“ Teilhaben wollte man doch nur an der Freude eines Stones-Konzertes. In allen geschäftlichen Bereichen ist solch eine harmlose Ölung ja sonst nicht der Rede Wert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen