Katrin Seddig Fremd und befremdlich: Bald sehen alle Städte Europas gleich aus. Wer will das?
Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr neuer Roman „Das Dorf“ ist kürzlich bei Rowohlt Berlin erschienen.
Gestern unterhielten wir uns über eine Vorstellung von Stadt. Hier in Hamburg-Wandsbek entsteht eines kleines, neues Viertel. Die Hafencity ist ein neues Viertel, und mein Sohn meint, man könne einfach auf diese Weise kein Leben schaffen. Er mutmaßte, dass in Wandsbek jeder neugeschaffene Raum bereits verkauft sei. Wer kann sich die Ladenräume leisten? Wer zieht ein, in eine neue Stadt? Le Crobag, eine Schanzenbäckerei, eine easy-Apotheke. So in etwa stellt er sich die nagelneue Infrastruktur vor.
Nachdem gegenüber vom Alnatura das C&A-Gebäude abgerissen wurde, entstand ein viel größeres, das mit Läden gefüllt wurde, die ausschließlich Ableger einiger Ketten sind. An der Wandsbeker Chaussee gibt es etliche Apotheken, alteingesessen teilweise, und mühsam behaupten sich die kleinen. Warum muss es jetzt an dieser apothekenreichen Straße noch eine Filiale der easy-apotheke geben?
Darum geht es nicht. So wird die Stadt nicht gebaut. Die Frage ist vielmehr, wer kann sich behaupten? Wer kann die gestiegenen Mieten bezahlen? Ein Neuanfänger? Ein Einzelkämpfer? Vielleicht nicht. Aber wie sieht die Stadt durch so eine Art von Wachstum aus? Sie sieht aus wie bald jede Stadt in Europa. Sie hat die gleichen Geschäfte, die gleiche Architektur, alles ist Ableger eines Multikonzerns, es gibt nichts anderes mehr, wir können nur noch in einem einzigen, riesigen Kaufhaus essen und schlafen und natürlich einkaufen. Wollen wir das? Wir wollen das eigentlich nicht.
Viertel, in denen es noch Cafés gibt, die von Menschen betrieben werden, die wir kennen, Kneipen, in denen es Bier gibt, das der Nachbar, der über der Kneipe wohnt, sich leisten kann, Clubs, in denen Bands auftreten dürfen, die noch keine Hallen füllen, Galerien, in denen Künstler das erste Mal ausstellen dürfen, sie sind beliebt. Die Leute wollen in solchen Vierteln wohnen, weil sie interessant sind, warm, weil sie blühen, weil sie sind wie die Natur.
Aber damit fängt das Elend an. Wenn Leute erst einmal wo wohnen wollen, wenn es eine Nachfrage gibt, dann gibt es einen Markt und wo es einen Markt gibt, da wird gehandelt. Warum soll ein Immobilienbesitzer nicht die Miete erhöhen, wenn er es kann?
So eine Stadt ist nicht schön, sagt mein Sohn, so will doch keiner leben. In diesen nicht gewachsenen, künstlichen Strukturen. Das müsste man ganz anders machen. Wie denn?, frage ich. Man müsste, sagt er, wenn man so etwas ganz neu anfängt, freie Räume schaffen. Räume, wo nicht schon feststeht, wer sie nutzt. Räume, die wirklich mietbar sind. In denen sich etwas bilden kann, in denen etwas entstehen kann, etwas Neues. Ja, denke ich, und finde es sehr idealistisch.
In Hamburg mussten in der letzten Zeit einige Clubs schließen. Acht Clubs seit 2016. Bekannte Clubs. Clubs haben auch früher schon zugemacht. Clubs entstehen und Clubs vergehen. Das ist der Lauf der Dinge. Aber kann in Zeiten so hoher Mieten etwas Neues entstehen? Können Anfänger so hoch einsteigen? Entsteht nicht das Neue immer aus der Garage, aus der günstigen Fläche, in den Sperrmüllmöbeln? Entsteht nicht das Neue immer von unten? Sind es nicht erst einmal zarte Pflanzen bevor es alte Bäume werden? Aber wo sollen sie wachsen? 250.000 Euro schießt die Stadt den Clubs zu, allen Clubs. Und was heißt schon, die Stadt?
Wir sind die Stadt. Unsere Kinder, die heute mit der Gitarre im Keller üben, die wollen auch einen Anfang haben. Die wollen nicht alle zu DSDS. Die brauchen eine Chance. Aber in einer durchkommerzialisierten Stadt haben nur die eine Chance, die bereits erfolgreich sind.
Ich prophezeie, dass die, die sich jetzt über den Lärm in einem alten Club beschweren, irgendwann aus einem anderen Grund nicht mehr dort wohnen wollen. Weil das Viertel, in das sie einst zogen, nur mehr ein gigantisches Kaufhaus ist, in dem man alles kaufen kann, nur eines wird es dort nicht mehr geben: echtes wildes Leben. Kein Wald, keine Wiese, kein Unkraut mehr, nur noch Mais, soweit das Auge reicht. Wenn ihr das wollt, na bitte.
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