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Katrin Seddig Fremd und befremdlichWas ist, wenn unsere Helden vielleicht unverzeihliche Dinge begangen haben – sogar Verbrechen?

Lou Probsthayn

Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit besonderem Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr neuer Roman „Das Dorf“ ist kürzlich bei Rowohlt Berlin erschienen.

Wenn es November wird, sehen wir uns jedes Jahr irgendwann den „Tanz der Vampire“an. Wir sind große Fans von Roman Polański, dessen Film „Rosemaries Baby“mich als Teenager wochenlang nicht hat schlafen lassen, ich werde die Bilder wohl nie aus dem Kopf bekommen, und so eine Atmosphäre zu schaffen, dass man immer mal wieder, den Rest seines Lebens lang, an ein Bild aus einem Film denken muss, zum Beispiel an eine bestimmte Szene: Das ist etwas Großes, etwas ganz Besonderes, und das können nur die wirklichen Künstler.

Die Sache ist nur die, Roman Polański, dieser liebenswert hilflose Junge Alfred, der dem vertrottelten Professor Abronsius gegen die Vampire beisteht, dem wird zur Last gelegt, in seinem echten Leben eine betäubte Dreizehnjährige missbraucht, vielleicht sogar vergewaltigt zu haben, und möglicherweise noch eine weitere Frau. Wie kann man also jetzt einen Film von ihm lieben und ihn dadurch irgendwie auch ehren, wenn man weiß, dass er so ein Mensch ist?

Wie ist es aber auch mit dem verrückten Klaus Kinski, dem seine eigene Tochter vorwarf, sie missbraucht zu haben? Wie können wir diesen Mann gerne in einem Film sehen, wie können wir gerne sehen, wie er auf einem Dampfer durch den Dschungel treibt und dabei seine Grimassen macht, die er vielleicht nur so machen kann, weil er so ein Mensch war, wie er war, ein tobender, ein rücksichtsloser Despot? Ich gebe zu, ich sehe das gerne. Ich sehe sogar gerne den Film über die Entstehung dieses Filmes, der auch zeigt, was für ein Mensch Klaus Kinski war, wie er als Mensch agiert hat.

In diesem Jahr wird von der Emil-Nolde-Stiftung der 150. Geburtstag des schleswig-holsteinischen Expressionisten gefeiert, der als Hans Emil Hansen im Örtchen Nolde geboren wurde. Emil Nolde galt lange als ein von den Nationalsozialisten verfolgter Künstler, und tatsächlich ordneten die Noldes Arbeiten der „entarteten Kunst“ zu. Sie wurden öffentlich lächerlich gemacht, aus den Museen entfernt. Sie hätten Hitler nicht gefallen, heißt es.

Nach dem Krieg dann wurde Emil Nolde als Teil einer Gruppe von Künstlern angesehen, die unter den Nationalsozialisten gelitten hatten. Dass er selbst sich sehr zu den Nationalsozialisten hingezogen fühlte, dass er begeistert von ihren Ideen war und antisemitisch eingestellt, dass er ab 1934 Mitglied der „Nationalsozialistischen Arbeitsgemeinschaft Nordschleswig“ war, das verschwieg er bekanntlich nach dem Krieg, das hätte zu seinem Status des Verfolgten nicht gepasst.

Soweit ist das verständlich, Emil Nolde war eben ein Mensch, und Menschen sind nun oft so veranlagt, dass sie sich zu ihrem eigenen Vorteil verhalten. Von einigen Ausnahmen vielleicht abgesehen, den Helden, die sich für eine gute Sache und andere Menschen opfern, die niemals ihre Ideale ihrem eigenen Wohlergehen opfern würden. Die meisten Menschen aber haben nur wenig heldenhafte Anteile in sich, sie schwanken in ihrer Haltung und geben später, wenn der Wind sich vielleicht gedreht hat, ihre Fehler nicht gerne zu. So viel also zur Moral des Emil Nolde, soweit man darüber spekulieren kann.

Der nicht mehr ganz neue Direktor der Emil-Nolde-Stiftung nun, Christian Ring, hat eine Dokumentation initiiert, die unter anderem auch Emil Noldes Gesinnung thematisieren soll. Außerdem will er unabhängigen Forschern Zugang zum Nachlass gewähren. Das ist alles sehr notwendig und richtig. Wir müssen wissen, wer die von uns Verehrten waren, die Geschichte muss sich der Wahrheit annähern.

Was aber ist, wenn unsere Helden, unsere Künstler, deren Werk wir lieben, wenn sie sich nun als Menschen erweisen, die moralisch mangelhaft waren, die vielleicht unverzeihliche Dinge begangen haben – sogar Verbrechen? Können wir sie dann noch verehren für ihre Kunst? Können wir ihre Kunst noch lieben, ihre Werke bewundern? Darf man sich von Kunst berühren lassen, wenn der Künstler möglicherweise ein Faschist war? Existiert das Werk unabhängig vom Künstler? Wir dürfen jedenfalls nicht lügen und nicht verschweigen, niemals. Emil Nolde wird durch die Wahrheit, die seit 2013 ans Licht kommt, vielleicht zu einem kleineren Menschen. Aber nicht zu einem kleineren Künstler.

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