: Kategorie Geschlecht in Frage stellen
betr.: Bildungsseite zur Jungskonferenz, taz vom 6. 9. 06
Als Wissenschaftlerin vom Fach bin ich doch schockiert, mit welcher Leichtigkeit die taz oberflächlich und unzutreffend mit Begrifflichkeiten und angeblichen Tatsachen, über die sich die „Wissenschaft einig“ sei, umgeht. In „Der Jungsstreit“ wird behauptet, die Wissenschaft habe gezeigt, dass „die Geschlechter grundsätzlich anders lernen – und dass Testosteron (…) dabei eine nicht unerhebliche Rolle“ spiele. In biologischen Disziplinen mögen solche Theorien geäußert werden, in den Erziehungswissenschaften und in der Soziologie ist ein solcher Ansatz jedoch zumindest höchst umstritten und spätestens seit den 90er-Jahren aus Sicht der Konstruiertheit von Geschlecht auch grundsätzlich in Frage gestellt worden.
Mit dieser „Vorinformation“ an die interessierten LeserInnen über Lernunterschiede und Testosteron ausgestattet wird dann im Artikel „Die Frau versteht das !“ ausgeführt, dass ein praktischer Lösungsansatz sei, Jungen und Mädchen in manchen Fächern getrennt zu unterrichten. Es wird resümiert, dass sich die Podiumsdiskutanten einig waren: In den Schulen müsse das Konzept des „Undoing Gender“ betont werden. Im Artikel wird das gleichgesetzt damit, dass u. a. „Jungen in Gebieten gefördert werden, die als ‚weiblich‘ gelten“ und umgekehrt. Das innovative Konzept des „Undoing Gender“ meint aber etwas ganz anderes und Weitreichenderes: Die Kategorie Geschlecht überhaupt wird hier in Frage gestellt, die Realität, dass in unserer Gesellschaft die Einteilung der Menschen in zwei Gruppen ständig vorgenommen und mit sehr vielen Bedeutungen und Konsequenzen verknüpft wird. „Undoing Gender“ ist der komplexe Prozess, die Geschlechtszugehörigkeit in Interaktionen so unbedeutend zu machen, sodass sie quasi sozial „vergessen“ werden kann.
An tatsächlich so weitreichende Veränderungsansätze wagt man sich scheinbar weder auf der KMK-Tagung noch in der taz. Bei dieser Informationspolitik wundert es mich nicht mehr, dass FreundInnen, die fachliche Laien sind, mangelnde Erfolge bei einer „neutraleren“ Erziehung ihrer Kinder ganz einfach wieder auf die leider unabänderlichen Gene zurückführen. DAMARIS GÜTING, Hamburg