■ Karneval im Selbstversuch (Teil 2 von 4): Eine ernstere Angelegenheit
Jawohl, meine Damen und Herren: Es gelang mir, die U-Bahn ohne größere Blessuren wieder zu verlassen. Das klappte aber nur, weil einhundertfünfzig Mitfahrer ebenfalls am Friesenplatz aussteigen wollten. Reiseleiter Blaschke, im Gewand einer Heimatvertriebenen, kontrollierte seine Gruppe auf Vollständigkeit: „Der Frosch, Herr Roth, Blondie, der Selbstversuch, Superwoman – gut.“ Er führte uns an eine abgesperrte Kreuzung, wo eine gewaltige Menschenmasse auf den Geisterzug wartete (der uns quasi zu folgen schien) – und mit ihr reichlich Polizisten in demonstrationstauglicher Kleidung. Bei einem erneuten Blick auf die Geistergesichter im „Zoch“ entdeckte ich viele angestrengte Mienen.
Karneval, soviel stand schon mal fest, ist eine ernstere Angelegenheit, als ich dachte.
*
Ich trage: bequemes Schuhwerk, Hosen und lange Unterhosen, eine Flasche Kölsch, mehrere Pullover, einen Mantel, einen geliehenen Wikingerhelm. Und einen Schnurrbart, aufgetragen vom grüngesichtigen Frosch unter Verwendung seines „Character Make up Kit“.
*
Die Gäste des „Daneben“ feierten den Karneval mit Unterstützung von Golden Earring und Deep Purple. Hinter dem Tresen standen Geishas und füllten in Rekordzeit Kölschgläser. Ein als Lieferant verkleideter Jeck bestürmte eine der blaß geschminkten Damen: ob sie Sekt wollte. Sie winkte ab und bedeutete ihm, daß er sie gefälligst in Ruhe lassen soll. Der Mann war allerdings wirklich ein Lieferant.
*
Auftoilettegehen im Kölner Karneval geht so: Man drängelt sich zunächst in die Nähe der sanitären Anlagen und stellt sich dann ans Ende irgendeiner Schlange. (Tip: Auch Herrentoiletten haben Kabinen.) Kurz bevor man endlich dran ist, erbricht sich jemand aufs erbärmlichste hinter einer der Toilettentüren. Wer die Geräusche und Gerüche aushält, bleibt; alle anderen wechseln die Schlange.
*
23.15 Uhr: Im bis auf den letzten Quadratzentimeter gefüllten „Zappzarapp“ werden Temperaturen von annähernd vierzig Grad gemessen. Der momentane Bewegungsspielraum reicht aus, um ein Kölsch zu trinken, nicht aber, den Mantel abzulegen. Untermalt wird die Szenerie vom Schlagerirrsinn – junge Menschen tanzen zu Marianne Rosenberg. Eine Frage, die sich – vor allem, aber vielleicht nicht nur – zu Karnevalszeiten aufdrängt: What happened to Generationenkonflikt?
23.45 Uhr: Ich werde geschunkelt. Minutenlang. Von einer Art Mrs. Doubtfire mit überaus kräftigen Unterarmen. Superwoman hat derweil eine Kiste erklommen und singt lauthals jedes Lied mit; Herr Roth würde jetzt gern zusammenbrechen, kann aber nicht; der Frosch färbt ab.
2.05 Uhr: Ein Gutenachtkölsch in einer mexikanischen Gastwirtschaft. Hier rüstet sich ein schwankender Jungjeck für den Heimweg, scheitert dann aber doch am Reißverschluß seiner Jacke. Meine mütterliche Seite hilft ihm aus der Patsche und auch noch in die Handschuhe.
*
Zum Auftakt des nächsten Tages erschüttert eine Nachricht aus der Redaktion des Kölner Expreß die Stadt: Der Kölschpreis ist auf sechs Mark gestiegen, und „der Jeck zuckt und zahlt“.
*
Am Nachmittag schwärmen die Kappenträger aus, die „Schull- und Veedelszöch“ – gemeint sind Schul- und Viertelsumzüge – zu bestaunen. Einige ambionierte Lehrkräfte haben ihre Schutzbefohlenen offensichtlich dazu angehalten, sich der Öffentlichkeit als Mobiltelefone zu präsentieren. Was treiben rheinische Kinderschutzorganisationen wie „Zartbitter“ bloß den ganzen Tag? Sind sie weiter hinten im Zoch, als Merci-Riegel verkleidet?
*
Einige Schüler, die nicht in eine Parade eingeplant sind, streichen leicht derangiert um den Dom herum. Die ca. 13jährigen haben sich drei Buchstaben auf die Stirn gemalt: A-L-K.
*
Der Reiseleiter bereitet die nächste Tour de Force vor. „Jetzt geht's ins Päffken“, verkündet er. In einem Ton, der nachdenklich macht – bzw. vorsichtig. Ich melde mich daher in der Redaktion: Der nächste Bericht „wird wohl etwas später als sonst geliefert“, behaupte ich. „Die nächste Lieferung ist ungewiß“, sage ich wohl besser nicht ...
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen