Zweimal Elektronika mit (unterschiedlich ausgeprägter) Kunsthochschulkomponente : Kaputtgebastelt und zurechtgerumpelt
Berührungsängste scheinen die Lippok-Brüder kaum zu kennen – andererseits bildeten Punk und Kunstkram selten tatsächlich den diametralen Gegensatz, der insbesondere hierzulande von manchem Beteiligten aus ihnen gemacht werden sollte. Und wie sich subkulturelle Praktiken unter den Bedingungen eines Systems wie jenem der DDR ausformen, dürfte ohnehin ganz eigenen Gesetzmäßigkeiten folgen. Um auf Ronald und Robert Lippok zurückzukommen: Die waren dieser Tage noch mal in einer spätabends wiederholten So-war-Punk-in-Ostberlin-Doku im ZDF zu sehen, wo sie anderthalb Sätze zum Thema beisteuerten.
Die zahlreichen Aktivitäten der beiden im Punk-, mehr noch im Post-Punk-Geschehen der Hauptstadt haben sich am deutlichsten niedergeschlagen in ihrer 1983 gegründeten Formation Ornament und Verbrechen – „die bekannteste DDR-Band, die keiner kannte“ (Thomas Winkler 1997 in der taz).
Ehe To Rococo Rot (Foto) als Band bekannt wurden, war das der Titel einer Ausstellung der beiden Lippoks, in der unter anderem Bohrmaschinen zum Plattenabspielen verwendet wurden. Das war 1995, parallel dazu erschien der erste Tonträger unter dem palindromischen Namen. Die zuvor selten gehörte Mischung aus elektronischen Produktionsmitteln, dem Hörbarmachen von deren vermeintlich unsachgemäßer Bedienung und einer ganz und gar nicht auf den Dancefloor beschränkten Idee von elektronischem Stückformat sorgte für großes Aufsehen, ließ allerdings auch so manchen Rezensenten – nicht immer wohlwollend – von „Muzak“ sprechen.
Inzwischen haben To Rococo Rot – neben den Gebrüdern Lippok stieß der anfangs noch bei Kreidler hauptbeschäftigte Stefan Schneider – vier Alben veröffentlicht und sich rund um den Elektronika-Globus einen allerbesten Namen erspielt. Mit dem anfänglichen ruhigen Fließen hat ihre Musik nur noch entfernt zu tun, geblieben sind das Interesse an der freigeistigen, gleichwohl ergebnisorientierten Kombination herumliegender Bruch- und Fundstücke. Als störend muss man am wohligen Knistern und den Sampleschichten aber nach wie vor nichts finden. Die nicht zuletzt künstlerische Ambition von To Rococo Rot, die sie, irgendwie folgerichtig, im Rahmen der Kunstverein-Reihe „Bühne 03“ gastieren lässt, ist eine freundliche.
Biographisch ganz sicher, vielleicht auch ideell aus einer anderen Richtung nähern sich, auch bereits seit einem guten Jahrzehnt, die Aktivisten der musikalischen Landkommune Stora der Schnittstelle von „Elektronik“ und „Rocken“. KissKissBangBang etwa erforschten einige Jahre lang als ungemein dynamisches Duo die Möglichkeiten, mittels Sequencer und MIDI-Gerätschaften eine Crowd zu rocken. Inzwischen haben sie sich als regelmäßigen Gast einen einschlägig bekannten Comiczeichner dazu geholt, der einen vollwertigen Kaputt-Soul-Frontmann mimt.
Auch wenn sie es von sich weisen mögen: Bei aller betonten Popularität ihrer treibenden Bollerelektronika sind die verschmitzten drei ausgewiesene Meister des Doppelbödigen. Ihre Disco-Schreibweise hat sich in der Vergangenheit auch und gerade im Ambiente maroder Galerieeröffnungen bewährt – vielleicht ja auch nur vorläufig, ehe es dann in die großen Stadien geht. Gälte es also je wieder, (subkulturell-strategische) Entscheidungen zu treffen pro Straßen-Glaubwürdigkeit und contra das Künstliche, auch KissKissBangBang müssten wohl lange überlegen.
ALEXANDER DIEHL
To Rococo Rot: Donnerstag, 20 Uhr, Kunstverein (Klosterwall 23); KissKissBangBang feat. Teobi, Der Tante Renate sowie DJs MikiMikron und MartinMoritz: Donnerstag, 22 Uhr, Astra-Stube