Kalkbrenner der Zweite: Heute hip, morgen vorbei
Mit "Here Today Gone Tomorrow" hat Fritz Kalkbrenner ein eigenes Album veröffentlicht. Bisher war der jüngere Bruder von Technostar Paul Kalkbrenner immer nur die Stimme.
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Mit ernstem Blick schaut Fritz Kalkbrenner leicht an der Kamera vorbei. Das Foto ist schwarz-weiß, der Hintergrund eine kahle Wand. Es prangt auf dem Cover der neuen CD von Fritz Kalkbrenner, seiner ersten. Sie heißt "Here Today Gone Tomorrow". Heute da, morgen schon wieder vergessen: So inszeniert sich keiner, der allen beweisen will, dass er der neue Star des Techno ist.
Noch ist er es ja auch nicht. Bis zu seinem Debüt war er bloß bekannt als die Stimme aus dieser Nummer aus diesem Film über einen Berliner DJ, der die Höhen und Tiefen des DJ-Daseins durchlebt. Fritz Kalkbrenner hatte den Text zu "Sky and Sand" geschrieben, dem prägenden Hit aus besagtem Film "Berlin Calling", und diesen dann selbst eingesungen.
Die Nummer war einer der Überraschungshits des Jahres, Techno kehrte mit dem Stück zurück in die Charts. Produziert hat es sein Bruder Paul, der auch die Hauptrolle spielt in "Berlin Calling". Seit dem Film und seinem Soundtrack ist zumindest Paul Kalkbrenner nicht mehr der kleine Technoproduzent aus Berlin-Mitte, sondern ein internationaler Star, der in großen Hallen statt in kleinen Clubs spielt. Klar ist, dass seit dem Ruhm seines Bruders nun auch Fritz Kalkbrenner unter besonderer Beobachtung steht.
Bislang war er ja nur die Stimme. Doch jetzt tritt auch der Fritz als Produzent in Erscheinung. Nicht als Sänger, der produziert, möchte er wahrgenommen werden, sondern umgekehrt als Produzent, der auch singt. Die Sänger sind in der Popwelt die Stars, im Techno sind es die Produzenten. Und so gibt es auf Fritz Kalkbrenners Album neben Tracks mit Gesang viele klassische instrumentale Technonummern, mit denen er beweist, dass er mehr ist als die Stimme.
Dabei ist sie ja etwas Besonderes, diese Stimme. "Sky and Sand" wurde erst durch den Gesang zur Hymne, die in mehreren europäischen Ländern in den Popcharts landete. Lässig klingt Fritz Kalkbrenners Gesang. Er schmiegt sich an die Bassdrum und diese Flächen, die Fritz Kalkbrenner genauso liebt wie sein Bruder. Soul hat dieser Gesang, nicht den Soul eines Marvin Gaye, aber doch etwas Sehnsuchtsvolles, das seine Musik angenehm melancholisch macht.
Selbst in Berlin, wo in den Clubs jahrelang Minimaltechno der bevorzugte Taktgeber war, regiert wieder Vocal-House, elektrische Emotionen sind wieder gefragt. "Here Today Gone Tomorrow" erscheint daher gerade zur rechten Zeit. Trotzdem wird es nicht ganz leicht sein für Fritz Kalkbrenner, seinen eigenen Weg zu finden. Es gab Überlegungen, sich einen Künstlernamen zuzulegen, weil der Name Kalkbrenner nun mal zuerst mit seinem Bruder Paul in Verbindung gebracht wird. Doch Fritz Kalkbrenner entschied sich dagegen. Ein Künstlername würde zu einem fast bodenständigen Typen wie ihm auch gar nicht passen.
Aufgewachsen ist er im Berliner Stadtteil Lichtenberg, neben Neukölln vielleicht der berüchtigste Bezirk der Hauptstadt mit seinen Plattenbauten, der hohen Arbeitslosigkeit und Problemen mit Neonazis. Mit seinem Bruder Paul und dem gemeinsamen Freund Sascha Funke, auch er längst eine DJ-Größe, hat er sich schon als Jugendlicher zur Interessengemeinschaft Fußball und Techno zusammengetan. Paul und Fritz begeisterten sich schon früh für den FC Bayern München - "das sind keine gewählten Entscheidungen, so etwas passiert einfach.
Wahrscheinlich kam das von unserem Vater, der schon zu DDR-Zeiten ein Bayern-Fan war", erzählt Fritz Kalkbrenner. Neben der gemeinsamen Liebe zum FC Bayern sind die Brüder auch auf Technopartys gegangen. Fritz Kalkbrenner gehört wie sein Bruder und der Resident-DJ des Berghain, Marcel Dettmann, zu einer Generation Endzwanziger, die das Ende der DDR noch miterlebt und in ihren Ruinen getanzt haben.
"Seit zehn Jahren sind wir Ossis aktiv dabei in der Szene. Inzwischen treffen wir uns alle sozusagen auf dem Geschäftsparkett wieder", so Fritz Kalkbrenner. Die Entwicklung ist logisch, denn Techno hat ja von den Neunzigern bis heute vor allem im Ostteil Berlins stattgefunden.
Wie Paul ist auch Fritz Kalkbrenner längst fester Bestandteil der Berliner Technoszene, in der immer noch vieles über gewachsene Freundschaften läuft und Loyalität etwas gilt. Selbst Paul Kalkbrenner betont in Interviews immer wieder, wie wichtig es ihm sei, auch als Star weiterhin Teil einer Subkultur zu sein.
Auch die Betreiber des Labels, das "Here Today Gone Tomorrow" veröffentlicht, sind alte Freunde von Fritz Kalkbrenner. "Da gab es schon so Typen, die nach dem Erfolg von ,Sky and Sand' und ,Berlin Calling' meinten: Komm, wir ziehen das mit dir jetzt ganz groß auf", aber das wäre für ihn einem Verrat gegenüber seiner Szene gleichgekommen. Trotz Chartserfolg auf dem Teppich zu bleiben und nachdenklich in die Kamera zu schauen, darum geht es ihm.
Allmählich dämmert einem auch der Sinn seines fast übertrieben bescheidenen Plattentitels. "Demut ist wichtig", erklärt Fritz Kalkbrenner, "Demut vor der Szene und vor der Musik."
Ein bisschen wirkt Fritz Kalkbrenner wie ein trockener Alkoholiker, der lieber keine volle Schnapspulle vor sich auf dem Tisch sehen möchte. Wie einer, der dem Erfolg schon so nahe gekommen ist, dass er Angst hat, nicht genug von ihm zu bekommen. Darum warnt er sich mit dem Titel seines Debüts sozusagen selbst: "Here Today Gone Tomorrow", das kann auch dir passieren, wenn du nicht aufpasst.
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