Kämpfe im Sudan: Rebellen greifen Machtzentrum an
Blitzoffensive von Rebellen aus Darfur wird kurz vor der sudanesischen Hauptstadt Khartum abgewehrt. Ziel der Rebellen ist "die Auslöschung des Regimes".
NAIROBI taz Die Nachricht erreichte Omar Hassan al-Bashir am Samstag auf einer Pilgerfahrt: Sudans Präsident besuchte gerade die Grabstätte des Propheten Mohammed in Saudi-Arabien, als er dringend nach Khartum zurückgerufen wurde. Da hatten, vollkommen unerwartet, Rebellen aus Darfur Khartums Nachbarstadt Omdurman überfallen und nach eigenen Angaben eine Luftwaffenbasis eingenommen.
In den Straßen der Drei-Millionen-Metropole lieferten sich Milizen der "Bewegung für Gleichheit und Gerechtigkeit" (JEM) Kämpfe mit der Armee. Obwohl diese den Rebellen an Ausrüstung und Anzahl hoffnungslos überlegen war, dauerte es bis zum Sonntagabend, dass al-Bashir im staatlichen Fernsehen den Sieg verkünden konnte. Aufnahmen aus Omdurman zeigten unterdessen ausgebrannte Autos und Leichen in den Straßen.
Im seit 2003 währenden Darfur-Konflikt, der sich weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit in einer mittlerweile fast entvölkerten Halbwüste abgespielt hat, markiert der Angriff vom Wochenende eine entscheidende Wende. Erstmals wird die Regierung in ihrer eigenen Bastion bedroht. Auch am Montag wurde noch von vereinzelten Kämpfen in Khartum berichtet, Details waren zunächst aber unklar.
Dass es die im 600 Kilometer westlich liegenden Darfur operierende JEM schaffte, so dicht an Khartum heranzurücken, feierten ihre Führer am Montag zu Recht als militärischen Erfolg. "Die Regierung steht unter Schock", attestierte Rebellensprecher Achmed Hussein al-Bashirs Kabinett. Rebellenführer Khalil Ibrahim, dem trotz einer groß angelegten Suche und einem Kopfgeld etwa 100.000 Euro die Flucht gelang, frohlockte: "Dies ist der Anfang, das Ziel ist die Auslöschung des Regimes."
Bei seinem Blitzschlag will Ibrahim Fahrzeuge, Waffen und Geld erbeutet haben. "Es kommen noch mehr Kämpfer nach Khartum." Quellen, die der JEM-Führung nahe stehen, bestätigten der taz am Montag, dass es zwei Kolonnen der Rebellen nicht bis nach Omdurman geschafft hätten. "Mehrere JEM-Kommandeure waren zu Beginn der Kämpfe am Samstag tatsächlich überzeugt, dass sie Omdurman erobern könnten."
Doch unabhängige Beobachter sind sich einig, dass es sich beim Angriff auf Sudans Hauptstadt um ein Himmelfahrtskommando handelte, das al-Bashirs Regierung schwächen sollte. "Die JEM ist schon immer entschlossener vorgegangen als die anderen Rebellengruppen in Darfur", berichtet ein Analyst. "Ihr eigentliches Ziel ist der Sturz von al-Bashirs Regierung, nicht eine isolierte Lösung für Darfur."
Unterstützung bekam die JEM vermutlich direkt aus al-Bashirs Staatsapparat, wenn auch nicht so viel, wie erhofft. Ein US-Diplomat in Khartum erklärte, es gebe Anhaltspunkte für eine Palastrevolution. "Die Fakten sprechen für eine gewisse interne Beteiligung, auch wenn das genaue Ausmaß unklar ist." Zudem ist der Angriff der JEM eine Revanche für den Vorstoß von sudanesisch unterstützten Rebellengruppen auf Tschads Hauptstadt NDjamena Anfang Februar, bei denen Präsident Idriss Déby sich nur knapp im Amt halten konnte - auch mit Unterstützung der JEM, die ihre Basen auf tschadischem Boden hat und von Déby finanziert wird. Das war auch al-Bashir klar, als er in einer TV-Ansprache den Tschad für den Angriff verantwortlich machte und die diplomatischen Beziehungen zum Nachbarn abbrach. "Wir behalten uns das Recht auf Vergeltungsschläge vor", schloss al-Bashir düster.
Sudanesische Soldaten attackierten laut Berichten nur kurz darauf die tschadische Botschaft in Khartum. Zwar hat der Tschad jede Beteiligung zurückgewiesen, aber ein Alleingang der JEM scheint kaum denkbar. Die hat am Wochenende mehrere führende Köpfe verloren, unter anderem Jamali Hassan Jelaladin, der als rechte Hand von JEM-Führer Ibrahim galt. Die Polizei nahm am Montag auch den islamistischen Oppositionsführer Hassan al-Turabi und mehrere Führungsmitglieder seiner Partei fest. Turabi gilt als Verbündeter der JEM. Beobachter befürchten, dass a-Bashir in den kommenden Tagen zurückschlagen wird. Schon kleinere Anlässe haben in der Vergangenheit ausgereicht, um Sudans Luftwaffe zur Bombardierung ganzer Dörfer in Darfur zu bewegen - mit tausenden Opfern.
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