Kabinett beschließt mehr Geld für Senioren: Die Angst vor den Rentnern
Das Kabinett hat in aller Eile eine Rentenerhöhung gebilligt. Bei der Generationengerechtigkeit hat sie es nicht eilig. Jungpolitiker wagen keinen Widerspruch mehr.
Es ist ein Fixpunkt im Kalender des Berliner Politikbetriebs. Jeden Mittwochvormittag kommen die Minister im Kabinettssaal des Kanzleramts zusammen. Immer um 9.30 Uhr, hundertmal schon in der laufenden Wahlperiode, davon 98-mal unter der Leitung der Regierungschefin selbst.
Der Mann ist 27 Jahre alt, hat seine Meinung gesagt - und wird deswegen von den CDU-Rentnern aus dem Bundestag gekegelt. Der Bundestagsabgeordnete Jens Spahn (CDU) hatte die Rentenerhöhung kritisiert - und gesagt, er werde ihr nicht zustimmen. Der stellvertretende Bundeschef der Senioren-Union, Leonhard Kuckart, 75, hat nun erneut seine Absicht bekräftigt, Spahn 2009 aus dem Bundestag zu drängen, wenn dieser seine kritische Haltung nicht ändere. "Ich werde durchziehen, damit das nicht um sich greift", sagte Kuckart. Er warf dem Jung-Parlamentarier vor, "eine innere Aversion gegen Rentner" zu haben. Spahn sei viel zu früh in den Bundestag eingezogen. Der Streit habe auch eine exemplarische Bedeutung, so Kuckart. "Wenn in Zukunft nicht 50 Prozent der Senioren CDU wählen, dann wird die CDU nicht mehr regierungsfähig sein."
Nur in dieser Woche ist alles anders. Das Kabinett traf sich bereits am Dienstag, wichtigster Tagesordnungspunkt: "Gesetzentwurf zur Rentenanpassung zum 1. Juli 2008". Es muss schnell gehen, schließlich sollen die Rentner schon in einem knappen Vierteljahr durchschnittlich 13 Euro zusätzlich pro Monat überwiesen bekommen, das sind etwa 8 Euro mehr als nach der Rentenformel eigentlich vorgesehen sind, und vor allem: rechtzeitig vor den anstehenden Wahlen.
Schon am Nachmittag sollen die Regierungsfraktionen deshalb über die Rentenerhöhung beraten. Doch unter den jungen Abgeordneten bei Union und SPD rumort es. "Noch ist nichts beschlossen", droht vorsorglich der SPD-Abgeordnete Peter Friedrich. Der 35-Jährige ist Sprecher der "Youngsters" in der SPD-Bundestagsfraktion. Nicht dass Friedrich die zusätzlichen 1,1 Prozent den Rentnern nicht gönnen würde. "Es wäre ein verheerendes Signal gewesen, wenn sie schon wieder den Gürtel hätten enger schnallen müssen."
Aber die jungen Abgeordneten fordern, die Rentenerhöhung wenigstens mit anderen Elementen zu kombinieren - einem kostenlosen Mittagessen in der Schulkantine für alle Hartz-IV-Kinder etwa. Die politische Rendite für eine Rentenerhöhung könne man schon bei der nächsten Wahl einfahren, kritisiert Friedrich, die Rendite für zusätzliche Kita-Plätze oder bessere Schulen "bekomme ich dagegen erst in zwanzig Jahren". Die Juso-Vorsitzende Franziska Drohsel begrüßte die Rentenerhöhung zwar, mahnte aber ebenfalls "weitere Anstrengungen und nachhaltigere Schritte" an, um die Altersversorgung finanzierbar zu halten.
Bei der Union mögen sich die Abgeordneten, die gegen den vorösterlichen Renten-Handstreich protestierten, vor der heutigen Fraktionssitzung lieber nicht mehr öffentlich äußern. Die Sprecher der Jungen Gruppe der Union lehnten reihum Widerworte gegen die Rente ab. Aufgegeben haben sie den Widerstand noch nicht ganz, im Internet haben sie ihre Protestnoten stehen lassen.
Der "Weg der richtigen Reformen" dürfe bei der Rente "nicht verlassen werden", mahnt etwa der 32-jährige CSU-Abgeordnete Stefan Müller, der zugleich Vorsitzender der Jungen Union in Bayern ist. "Ich halte diese willkürliche Änderung der Rentenformel für falsch", heißt es bei dem CDU-Parlamentarier Jens Spahn - noch. Die Senioren-Union hatte ihn dafür bereits vor Tagen heftig kritisiert. Deren nordrhein-westfälischer Landesvorsitzende Leonhard Kuckart drohte nun erneut, seine Senioren gegen die Wiederaufstellung Spahns für den Bundestag zu mobilisieren: "Spahn muss keinen Gang nach Canossa antreten. Aber er muss schon zeigen, dass er kapiert hat."
In der Vorstandssitzung der Partei nahm Bundeskanzlerin Angela Merkel den 27-Jährigen sogar in Schutz, wie die taz von Teilnehmern erfuhr. Solche Meinungsäußerungen müsse die Senioren-Union schon aushalten können. Merkel räumte auch ein, dass die Rentenerhöhung kein ordnungspolitisches Meisterstück sei.
Auch die CDU-Ministerpräsidenten sind nicht alle überzeugt - zumindest nicht in jenen Ländern, in den auf absehbare Zeit keine Wahlen anstehen. "Ich habe von der Erhöhung aus der Zeitung erfahren", beklagte sich Baden-Württembergs Regierungschef Günther Oettinger schon vor zwei Wochen. Der Ärger ist in seinem Landesverband noch nicht verraucht. Dort hat man den Eindruck, die Koalitionsspitzen hätten die parlamentarische Osterpause gezielt genutzt, um die Rentenerhöhung ohne großes Aufsehen vollziehen zu können.
Bereits im November 2006 haben 49 jüngere Bundestagsabgeordnete aus allen Fraktionen einen Antrag eingebracht, die Generationengerechtigkeit als Staatsziel in einem neuen Artikel 20 b des Grundgesetzes zu verankern. "Der Staat hat in seinem Handeln das Prinzip der Nachhaltigkeit zu beachten und die Interessen künftiger Generationen zu schützen", soll er heißen, Bund und Länder hätten "den Interessen der künftigen Generationen Rechnung zu tragen". Das Papier ist seit fast eineinhalb Jahren im parlamentarischen Verfahren unterwegs. "Wir warten jetzt auf die Ausschussberatung", sagt die 24-jährige Grünen-Abgeordnete Anna Lührmann. Auf eine vorgezogene Kabinettssitzung wegen besonderer Dringlichkeit müssen sich die Bundesminister in diesem Fall wohl nicht einstellen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört