Kabinenpredigt : Rockys Stadion
Berlin im Januar 2007. Überall regt sich das Leben. Die Nächte werden kürzer, die Primeln blühen, die Bäume schlagen aus, das Gras wächst wieder und Exboxweltmeister Graciano Rocchigiani alias „Rocky“ muss für neun Monate in den Knast nach Bielefeld. Weil er während seiner dreijährigen Bewährungszeit wieder straffällig wurde und einem Berliner Taxifahrer die Lippe blutig schlug. Aber nach Bielefeld möchte er nicht, weil er Ostwestfalen nicht kennt, sich vor der dortigen Langeweile und dem „Scheiß-Essen“ fürchtet.
„An Langeweile ist noch niemand gestorben“, sagt man zwar leichthin, freut sich aber während der Winterpause trotzdem wie Bolle über jeden noch so kleinen Nachrichtenkrümel aus der Welt der Bundesliga.
Da werden Torhüter abgegeben, um Hamburg aus der aufkommenden Sturmflut zu retten, junge Spitzenspieler für den Banksafe der Bayern weggekauft, Trainer weitergereicht, abgesägt oder man lässt sie auferstehen, und Hertha-Hoeneß ist zornig auf den Mainzer Manager Heidel, weil der hinter seinem Rücken mit jemandem gesprochen hat. Oder umgekehrt.
Jedenfalls sind solche News auf dem Niveau einer Mädchentoilette in der großen Pause und lassen mich in meiner Langeweile fast untergehen und das, obwohl ich gar nicht in Bielefeld einsitze.
Bleibt nur noch der Vorschlag, das Olympiastadion zeitweise umzubenennen. Die Idee kam natürlich von Hertha, die an den daraus zu erwartenden Gewinnen auch beteiligt werden will. Und das, obwohl Hertha mit genau null Prozent am Stadion beteiligt ist. Das will ich auch! Vorschläge meinerseits wären „Kolosseum Prekariat“ oder „Arena der Niederlagen“, auch „ Gammel-Rund“ oder „Platzwofrühermalwasloswar“ würde mir gefallen.
Da ich aber ein unglaublich sozial engagierter Mensch bin, wäre ich bereit, meine Vorschläge zugunsten von Rocky zurückzustellen. Der hat doch sicher noch Kohle von der Entschädigung für den ihm geklauten WM-Titel übrig. Wenn er dieses Geld nimmt und als Sponsor des Olympiastadions auftritt, kann er seine Strafe vermutlich im Langneseblock des Stadions statt in Bielefeld verbüßen. Einen Namensvorschlag schenke ich ihm auch „Rockys letzte Runde“.
Ob er dort allerdings an weniger Langeweile leiden wird, kann ich ihm nicht garantieren. Das wiederum weiß nur Hertha BSC. Aber neun Monate sind eine lange Zeit, da wird schon irgendetwas passieren. Und wenn er sich gut benimmt, darf er sicher auch bald als Freigänger im Olympiastadion Würstchen verkaufen oder als Ersatz-Herthinho einspringen. Da sieht die Zukunft doch schon wieder rosig aus, oder?
SARAH SCHMIDT