KULTUR IST UNGEFÄHR DAS, WAS MENSCHEN MACHEN UND TIERE NICHT MACHEN, MEHR NICHT : Die Abneigung gegen Kultur
KATRIN SEDDIG
Kiel hat jetzt eine Kultur-Kita. Das kann man in den Zeitungen Kiels und Schleswig-Holsteins lesen. Man kann auch lesen, dass die frischgebackene Kultur-Kita fünftausend Euro für diesen Titel bekommen hat und dies Geld möchte sie für einen Workshop mit Schauspielern verwenden. Eltern mögen das, wenn die Kinder Workshops machen und ihre Talente in der Schauspielerei frühzeitig gefördert werden.
Und worüber möchte ich mich beschweren? Ich möchte mich gar nicht beschweren, weil man einem engagierten Kindergarten und seinen Mitarbeitern nichts vorzuwerfen hat. Ich möchte mich nur am Begriff der Kultur abarbeiten und diesen Unsinn als Vorsilbe für Kitas, Scheunen und Schaffende mal zur Sprache bringen. Was soll das überhaupt sein, Kultur? In manchen Zusammenhängen heißt es „Kunst und Kultur“, was bedeuten soll, dass Kunst nicht in Kultur enthalten ist? Im Duden steht: Kultur, das ist „die Gesamtheit der geistigen, künstlerischen, gestaltenden Leistungen einer Gemeinschaft als Ausdruck menschlicher Höherentwicklung“. Also ungefähr alles, was Menschen machen, was Tiere nicht machen.
Ich hatte selbst einmal drei oder fünfjährige Kinder, die schufen im Kindergarten massenhaft Bilder mit Buntstiften und mit Fingerfarben. Manchmal schnitten sie Sachen aus und manchmal klebten sie sie zu irgendetwas zusammen. Manchmal lernten sie ein Lied und manchmal übten sie ein Gedicht. Was darüber hinaus lernt ein Kind aber in einer Kultur-Kita?
Die Landesregierung hat für diese Auszeichnung einen Wettbewerb ausgeschrieben. Musisch ästhetisch und kulturell ausgerichtete Kitas sollen auf diese Weise für ihr Engagement belohnt werden. In diesem Fall hat die Kita mit einigen Künstlern und den Kindern das Gelände der Kita gestaltet. Das ist nett. Die Kinder lernen, dass es Künstler gibt und dass man so was machen kann. Kunst. Auch beruflich. Im besten Fall lernen sie auch, dass es außer A4 noch ein Format, außer Papier noch ein Material und außer dem Buntstift und dem Farbkasten noch andere Möglichkeiten des Ausdrucks gibt.
In Scheunen, die sich Kulturscheunen nennen, die in mittelkleinen Städten eine Art Freizeitalternative zum Baumarkt und zum Einkaufszentrum darstellen, wo hauptsächlich Frauen, die auch gern mal ein gutes Buch lesen, sich Donnerstagabend oder Sonntagvormittag in kleinen Gruppen zum geselligen Austausch treffen, heißt Kultur auch Serviertentechnik, Chormusik und Volkstanz. Alles Sachen, die das Tier nicht tut.
Und zum letzten, dem Kulturschaffenden: Das ist der Mensch, der die Kultur schafft. Wenn wir davon ausgehen, dass fast jeder Mensch sich schaffend vom Tier unterscheidet, passt fast jeder Mensch in diese Kategorie. Fast jeder Mensch ist ein Kulturschaffender. Aber nur manche schreiben offene Briefe an die Bundesregierung. Denn wenn die Bundesregierung Briefe von Kulturschaffenden bekommt, dann weiß sie, dass dies etwas Besonderes ist. Offene Briefe an die Bundesregierung werden selten von den Beschäftigten der Abfallwirtschaft oder des Nahverkehrs entworfen.
Ich muss sagen, ich fühle leider eine unerklärliche, irrationale Abneigung gegen die Kultur. Ich will mit Kultur nichts zu tun haben. Ich will nichts mit Kultur sein und will auch nichts davon abhaben. Jeder Mensch, der das Wort Kultur in den Mund nimmt, ist mir suspekt, ich halte mich von Kultur fern, soweit es geht. Oder doch nicht? Nein? Ich sitze in einem Kulturkreis drin, ich bin ein Kulturbeutel. Voll mit Utensilien und Gerätschaften für den kulturellen Gebrauch. Und hab – fast vergessen – meine Kinder auf die Kulturschule geschickt.
“Mach doch einer mal den Kulturkack aus. Ach geht ja nicht, lass bloß an, bin ja selber drin.“ (Dosis/L’Etat Et Moi/Blumfeld) Katrin Seddig ist Schriftstellerin und lebt in Hamburg, ihr jüngstes Buch, „Eheroman“, erschien 2012 bei Rowohlt. Ihr Interesse gilt dem Fremden im Eigenen.