KOMMENTARE: Kölner Tristesse
■ Preis der Binnenharmonie: Haben die Grünen ihr innovatives Potential verbraucht?
Wer über Jahre die grüne Selbstlähmung im Strömungskonflikt beklagte, darf jetzt die unaufgeregte Normalität des Kölner Parteitages feiern. Was in Neumünster ein letztes Mal spektakulär verdeckt und zugleich eingeleitet wurde, ist nun vollzogen: die Abkehr vom anachronistisch-dominanten Konfliktschema Rechts gegen Links, Reform versus Systemopposition. Ein später Tribut an die Wirklichkeit der Republik und — eine Chance für die politische Innovation. Am innerparteilichen Verhältnis der abgeschmolzenen Pole jedenfalls läßt sich grüne Realität nicht länger beschreiben. Nichts scheint für die Zukunft der Partei unerheblicher als die Selbstetikettierung ihrer beiden Sprecher als Linke. Die Aufgabe, die sich das Führungsduo Vollmer/Weiske gestellt hat — Integration statt Polarisierung — ist obsolet, noch bevor sie richtig in Angriff genommen wurde. Und deutlicher als mit Joschka Fischers prinzipienfester Pazifismusrede in Köln läßt sich grüne Identität und zugleich innerparteiliche Kooperationsfähigkeit nicht dokumentieren.
Die Grünen sind auf dem Weg zu einer homogenen Partei. Das ist gemessen an ihrer Vergangenheit ein Fortschritt, doch angesichts der politischen Herausforderungen zu wenig. Wer etwa, wie Ludger Vollmer, in seiner Antrittsrede den politischen Stellenwert, ja das „zukünftige Schicksal“ der Partei mit deren einheitspolitischem Profil verknüpft, der wird nach der Kölner Tristesse auf die Zukunftsfähigkeit der Grünen keine Wette riskieren. Mit einer deutschlandpolitischen Auseinandersetzung hätte die Partei in der Tat signalisieren können, daß sie ihre neue Binnenharmonie zur Rückkehr in die Politik nutzen will. Statt dessen verkündete Vollmer mit Staat vor Markt, Sanierung vor Privatisierung, und „sinnvolle Arbeit für alle“ ein paar sozialdemokratische Versatzstücke; Christine Weiske lieferte die Perspektive: Workshops im Herbst und einen „gut vorbereiteten“ FNL- Kongreß im Frühjahr 1992. Ansonsten entschieden die Delegierten auf Nicht-Befassung.
Schwer von der Hand weisen läßt sich nach der Versammlung vom Wochenende die Frage, ob die Grünen im langwierigen Prozeß ihrer internen Schlichtung auch ihr innovatives Potential verbraucht haben. Die Querdenker jedenfalls, die das grüne Milieu hartnäckig mit ihren Zumutungen nervten, die Wirkung über das enge Sympathisantenspektrum hinaus entfalteten, und sich gerade damit intern diskreditierten, befinden sich, zumindest bundespolitisch, auf dem Rückzug. Ob den Reformtechnokraten von Fischer bis Vollmer klar ist, daß der neue innerparteiliche Friede diesen Verlust nicht kompensiert, ist mehr als zweifelhaft. Die Drohung negativer Schlagzeilen ist für die Grünen, vielleicht auf lange Zeit, passé. daß sie jetzt eine Politik entwickeln werden, die für positive Schlagzeilen gut ist, dafür gab es in Köln keine Anzeichen. Matthias Geis
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