KOMMENTARE: Verfolgerland Deutschland
■ In der Bundesrepublik werden wieder Menschen politisch verfolgt
Vor dem Hintergrund der eigenen Mitverantwortung für die Greueltaten des Faschismus hat sich die Bundesrepublik einst ein klares, scheinbar unverrückbares Vermächtnis in die Verfassung geschrieben. Nie wieder sollten in dem neuen, demokratischen Teil Deutschlands Menschen aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen um ihr Leben fürchten müssen oder auch nur Diskriminierung erleiden. Und all denen, denen solche Verfolgung in anderen Staaten widerfährt, wollte man großzügig Zuflucht gewähren mit einem eigens qua Verfassung garantierten Recht. Heute, mehr als 40 Jahre nach dem Zusammenbruch des Faschismus, ist die Scham vorbei. Das neue wiedervereinigte Deutschland verabschiedet sich von einer der Lehren, die es mühsam und unter Druck von außen aus seiner Geschichte ziehen mußte. Nach jahrelangem Bohren und Hobeln nicht nur konservativer Politiker ist es beinahe nur noch eine Frage der Zeit, wann das Asylgrundrecht bis zur Unkenntlichkeit aufgeweicht ist.
Zugleich verabschiedet sich dieses Deutschland von einem anderen, für Demokratien selbstverständlichen Zustand. In diesem Land müssen wieder Menschen um ihr Leben fürchten, weil sie nicht deutsch sind, weil sie eine andere Hautfarbe haben, weil sie, wie man es früher drastischer sagte, einer anderen Rasse angehören. Beinahe jeden Tag werden irgendwo in deutschen Landen AusländerInnen gehetzt, getreten, geprügelt. Der bisher letzte Überfall — diesmal im saarländischen Saarlouis — kostete einen afrikanischen Flüchtling das Leben.
Hieße es nicht, über das eigene Land zu urteilen, das neue Deutschland müßte sich selber als Verfolgerland einstufen. Würde man die Elle bundesdeutschen Asylrechts an die eigenen Verhältnisse anlegen, man käme nicht umhin, ausländische Flüchtlinge als politisch Verfolgte anzuerkennen — nicht weil sie im fernen Heimatstaat um ihre körperliche Unversehrtheit fürchten müssen, sondern im Asylland Deutschland selbst. Sicher, es ist keine staatliche Verfolgung, sondern zur Handlung geronnenes „gesundes Volksempfinden“. Der Staat schaut dem tatenlos zu. Genau dieser mangelnde staatliche Schutz vor Verfolgung durch Dritte ist jedoch nach internationaler Konvention einer der klassischen Asylgründe. Kaum ein Politiker hat sich schützend vor die AusländerInnen gestellt, keiner hat die Täter als potentielle und tatsächliche Mörder geächtet. Noch immer gelten Pöbeleien und tätliche Angriffe auf AusländerInnen als Kavaliersdelikte. Und die Politiker nehmen das mit ihrem Zetern über die „Asylantenflut“ nicht nur billigend in Kauf. Sie heizen es auch noch an. Vera Gaserow
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen