KOMMENTARE: Ein Pluspunkt
■ Die Liberalen befinden sich nach Suhl in der Sinnkrise
Sage niemand mehr, Parteitage der FDP seien langweilig. Die Partei mit den drei Punkten gebärdete sich in Suhl fast so, wie wir es bei den Grünen gewohnt sind: chaotisch, zerstritten und ohne deutliche Mehrheiten für die Führungsspitze. Vordergründig zeigte sich der Streit bei der FDP in der erbitterten Personalschlacht. Lambsdorff kehrt mit einem Minus-Rekord nach Bonn zurück. Seine neuer Generalsekretär Lühr aus Halle erhielt gar nur 57 Prozent der Stimmen — einem Vorzeige-Ossi wollten weder West- noch Ost-Delegierte das Vertrauen schenken.
Die Liberalen befinden sich in der Sinnkrise. Offensichtlich gemacht haben das vor allem die Delegierten aus den neuen Ländern. Ihnen brennt die Förderung jener nebulösen Gruppe von Freiberuflern, Handwerkern und sonstigen subalternen Selbständigen, die gemeinhin Mittelstand genannt wird, besonders auf den Nägeln. Gehören sie dieser Gruppe doch selbst an — und ihnen geht's schlecht im Aufschwungland Ost. Mit Versprechen von Steuerbefreiungen und Niedrigsteuergebiet hatte Lambsdorff im Osten Stimmen eingefangen — heraus kam eine Steuererhöhung. Ein Minuspunkt für die Partei mit den drei Punkten. Schmerzlich vermißt wurden in Suhl Aussagen zur vielgerühmten Liberalität der Partei. Dazu fiel den Lenkern Lambsdorff und Möllemann wenig ein. Und auch in der Sozialpolitik bewegte der Parteitag nichts. Neue Impulse in Lambsdorffs letzter Amtsperiode? „Keine“, so die knappe Antwort des Grafen. Noch ein Minuspunkt für die Partei mit den drei Punkten. Das, was man der FDP schon immer vorgeworfen hatte — den Anspruch auf die Macht aus purem Trieb der Machterhaltung —, bestätigte sich im Thüringer Wald. Den Delegierten ist der Widerspruch zwischen Sein und Wollen schon aufgefallen, der Bonner Parteispitze noch nicht. Minuspunkt. Doch aus der Dürftigkeit von Suhl könnte neue Stärke werden. Das schwache Bild der Parteispitze gibt den Reformern Auftrieb, die auch eine sozialliberale Koalition ins Auge fassen. Bisher hat die Basis nur gegrummelt. Mag sein, daß sie beim nächsten Mal zur Tat schreitet. In zwei Jahren jedenfalls wird neu verhandelt. Zumindest das ein Pluspunkt. Klaus Hillenbrand
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