KOMMENTARE: Ende eines Höhenrausches
■ Für Angela Merkels herbe Niederlage ist die Bonner Parteispitze verantwortlich
Die Fassungslosigkeit, mit der Angela Merkel ihr katastrophales Wahlergebnis von Kyritz aufnahm, machte für einen Moment lang die ganze Brutalität der vorausgegangenen Inszenierung sinnfällig. Gescheitert ist in Kyritz der Versuch, die jugendlich-unverbrauchte Politikerin aus dem Osten für die überkommen-perspektivlose Personalpolitik der Bonner Parteizentrale zu instrumentalisieren. Hätte sich die Frauenministerin nicht in erster Linie als Bonner Verhinderungskandidatin gegen den Parteilinken Ulf Fink ins Rennen drängen lassen, sie hätte die Niederlage gegen den routinierten Querkopf unbeschadet wegstecken können. Aus dem durchsichtigen Machtspiel eines Volker Rühe jedoch, in das sie sich widerspruchslos einbinden ließ, geht sie beschädigt hervor. Denn nur der Erfolg hätte vergessen lassen, daß sie ihre politische Unschuld in den Dienst der ausgebufften, alten Männer aus dem Adenauerhaus stellte. Nach dem Mißerfolg jedoch bleibt allein das in Erinnerung.
Als Stellvertreterin ist sie angetreten, als Stellvertreterin wurde sie abgestraft. Wer derzeit im Osten als Protegé der Unionsspitze ins Rennen geht, hat schlechte Karten. Chancenloser als ein Kandidat aus der alten Bundesrepublik, so lehrt die Wahl vom Wochenende, ist derzeit die Ostlerin, die mit FNL-Flair und Brandenburger Kindheit ihren West-Auftrag notdürftig zu kaschieren sucht. Nachhaltig wirken in den Ost-Landesverbänden die Demütigungen nach, mit denen die Demontage Lothar de Maizieres betrieben wurde. Daß die Blockpartei im Einheitsjahr umstandslos vereinnahmt wurde, um ein Jahr später als Sündenbock für den Popularitätsverlust der CDU im Osten einzustehen, hat das west-östliche Binnenverhältnis zerrüttet. Auch dafür mußte Angela Merkel, die sich im Konflikt um die Blockparteivergangenheit der Ost-CDU moderat auf die Seite der Erneuerer gestellt hatte, jetzt herhalten.
Verquere Welt, daß der Parteireformer Fink in Kyritz auch von denen unterstützt wurde, die mit Angela Merkel zugleich die Erneuerungsforderung aus dem Adenauerhaus abprallen ließen. Doch daß Rühe im Sommer die Vergangenheit der Ost-CDU nicht aus Gründen der politischen Moral ins Spiel brachte, sondern weil der Union in der Ex- DDR die Felle wegzuschwimmen drohten, macht die Forderung eines grundlegenden personellen Revirements selbst ja nicht unsinnig. Sie bleibt vielmehr zwingend für jeden, der den Vorsitz in einem Ost-Landesverband mit politischem Gestaltungswillen verbindet. Man darf gespannt sein, wie Ulf Finck — gegen die Interessen seiner Wählerschaft — dieses Problem zu lösen gedenkt. Am Ende können die unter Kohl kaltgestellten CDU- Reformer, die jetzt über die Ost-Schiene reussieren, ihren neugewonnenen Einfluß nur im Arrangement mit den Blockparteikadern verteidigen. Biedenkopf jedenfalls hat in Sachsen schon vorgemacht, wie sich mit einem Stasi-Mann als Innenminister oder einem Blockpartei-Hardliner als Parteichef leben läßt. Der Zwang zur Moderation, den die Ost-Karriere mit sich bringt, könnte den CDU- Querköpfen das Profil abschleifen, das sie in der Auseinandersetzung mit Kohl entwickelt haben.
Um die undankbare Aufgabe, die christlichen Opportunisten von einst aus den Schlüsselpositionen zu drängen, ist Angela Merkel mit ihrer Niederlage herumgekommen. Doch jetzt, nach dem Brandenburger Absturz und dem jähen Ende ihres politischen Höhenrausches wird sie sich schon fragen müssen, ob der stellvertretende Bundesvorsitz, für den sie — ohne Gegenkandidat — nominiert wurde, nicht doch ein paar Nummern zu groß ist. Ob sie sich nach der gescheiterten Inszenierung vom Wochenende jetzt der Zumutung verweigert, noch einmal als handzahme, aber überforderte Kandidatin der Parteispitze, das Frauen- und Ost- Profil der Union zu repräsentieren, ohne es Kohl- kritisch zu schärfen. Das könnte am Ende über ihre politische Zukunft entscheiden. Matthias Geis
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