KOMMENTARE: Vom Sprung zum Gehoppel
■ Nach dem EG-Gipfel ziehen die Unternehmer dem Parlament davon
Von den Durchbrüchen, die die Staats- und Regierungschefs auf dem EG-Gipfel auf dem Weg hin zur europäischen Integration zu unternehmen beabsichtigten, ist letztlich nur einer übriggeblieben: den zur Wirtschafts- und Währungsunion. Selbst hier aber schlägt die Stunde der Wahrheit erst in fünf Jahren, während bereits sicher ist, daß das WWU-Europa künftig mindestens zwei Geschwindigkeiten haben wird. In bezug auf die politische Union aber haben die Staats- und Regierungschefs, an den Ankündigungen gemessen, eher ein klägliches Gehoppel veranstaltet als qualitiative Sprünge gemacht.
Auf der Strecke geblieben ist zu allererst die substantielle Aufwertung des Europa-Parlaments. Im Prinzip müßten die Straßburger Abgeordneten, aller Feigheit, National- und Parteiraison zum Trotz, mindestens ihren angeblichen Fürsprecher Helmut Kohl zum Rücktritt auffordern. Denn der Kanzler hat in Maastricht galant auf sein ursprüngliches Junktim von EG-Demokratisierung und WWU verzichtet. Nach dem britischen Ausstieg aus der gemeinsamen Sozialpolitik gehört auch die Mehrheit der britischen Bevölkerung zu den Verlierern, doch wird der mögliche neue Labour-Premier Kinnock schnell nachholen, was John Major und Maggie Thatcher jahrelang blockiert haben.
Falls die Demokratie in der EG als Maßstab für Gipfel-Beschlüsse gelten soll, können wir für jede Hürde, die die politische Union noch nehmen muß, dankbar sein. Der Verweis darauf, daß Mehrheitsentscheidungen bei der Sozial- oder der Umweltpolitik wegen der festzulegenden Mindeststandards nützlich seien, hilft nicht viel weiter. Denn selbst wenn die Legitimitätsfrage — ob nämlich eine Exekutive legislative Funktionen wahrnehmen darf — einmal unberücksichtigt bleibt: Von Europa-ParlamentarierInnen, die diese Bezeichnung auch verdienen, ist allemal mehr Bewegung in der Sozial- oder Umwelt-, aber auch in der Außen- und Militärpolitik zu erwarten als von Ministerräten, deren Mitglieder ihren nationalen Interessen unterliegen. Nicht zuletzt dies hat die Feilscherei auf dem Gipfel klar bewiesen.
Daß die Interessen des Kapitals auf der ganzen Welt die gleichen sind, mag bei den arg aus der Mode gekommenen Marxisten zwar nur ein müdes Schulterzucken hervorrufen. Gleichwohl können sie die Wirtschafts- und Währungsunion als Beleg verbuchen. Die international orientierte Unternehmerschaft der starken Länder bekommt vermutlich ihre WWU. Vergemeinschaftet werden ihre Kosten, die — als Finanztransfer — aus den Steuerkassen bezahlt werden müssen. Hatte der Gipfel schon andere problematische Bereiche, etwa die Standorte der europäischen Institutionen oder den Umfang des Parlaments, auf einen späteren Zeitpunkt vertagt, so gilt dies insbesondere für die kostenträchtigen Aspekte der Gipfelbeschlüsse. Diese Entkopplung lag im Interesse der reichen Länder, denn ihre Verknüpfung mit der WWU hätte diese tatsächlich zu Fall bringen können. Der von Spanien für die armen Länder geforderten „Kohäsionsfonds“, der nun grundsätzlich akzeptiert ist, soll als Ausgleich für den drohenden Kapitalverlust dienen. Doch um seine Ausstattung wie auch generell um die Reform der EG-Finanzverfassung wird erst im nächsten Jahr gestritten.
Schon mehren sich die Politikerstimmen gegen eine Ausweitung des Finanztransfers. Dann werden die Kosten der WWU eben nicht mehr vom politischen Sektor der EG übernommen, sondern vornehmlich von dessen ärmerer Hälfte. Die Zahl der verschiedenen Geschwindigkeiten in der EG erhöht sich ständig. Auch in diesem Sinn wirft der Gipfel seine Schatten. Dietmar Bartz
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