KOMMENTARE: Kalte Abwicklung mißlungen
■ Heinrich Fink darf wieder an der Berliner Humboldt-Universität Theologie lehren
Eine schöne Erfahrung für Heinrich Fink: Seine Kündigung ist — vorbehaltlich höherinstanzlicher Entscheidungen — unwirksam. Doch das Urteil des Berliner Arbeitsgerichtes bedeutet nicht nur Genugtuung für Heinrich Fink. Es führt zugleich die Behauptung ad absurdum, die Gauck- Behörde fungiere als Inquisitionsinstanz, die „gottgleich“ über das Schicksal von Menschen entscheide. Das Urteil bestätigt demgegenüber, was Joachim Gauck seit Amtsantritt seinen Kritikern immer wieder entgegenhält: Die Bescheide seiner Behörde und die Konsequenzen, die von anderen Institutionen daraus gezogen werden, unterliegen rechtsstaatlicher Kontrolle. Eine Selbstverständlichkeit, die hervorzuheben nur deshalb lohnt, weil sie angesichts hysterischer Anti-Gauck-Reflexe schlicht in Vergessenheit geriet. Der Berliner Richterspruch verstellt allzu billige demagogische Kurzschlüsse.
Das Urteil konterkariert zugleich die naheliegende Versuchung, die Bescheide der Aktenbehörde politisch zu instrumentalisieren. Kein Zweifel, daß die belastenden Indizien gegen Heinrich Fink dem Berliner Wissenschaftssenator Erhard gerade recht kamen, den politisch unliebsamen Humboldt-Rektor kalt abzuwickeln. Erhard, so wurde von Anfang an moniert, nahm die etablierten Verfahrensregeln nicht allzu genau und bekam dafür jetzt die richterliche Quittung. Fortan werden die Dienstherren ihren Stasi-belasteten Mitarbeitern gegenüber behutsamer agieren, als es Erhard im Fall Fink vorexerzierte — auch das ein beruhigender Beitrag zur Stasi-Debatte.
Doch auch für die Praxis der Behörde bedeutet das Urteil eine empfindliche Mahnung zur Sorgfalt. Es wertet die vorgelegten Akten lediglich als Indizien, die nicht ausreichten, Fink einer Stasi- Mitarbeit zu überführen. Das mag im konkreten Fall angehen. Fraglich jedoch bleibt der generalisierende Tenor des Urteils, der den Stasi-Unterlagen per se jegliche Beweiskraft abspricht. Das mag für die in den Akten enthaltenen Wertungen noch gelten. Doch die Behauptung, es sei prinzipiell unmöglich, anhand von MfS-Unterlagen zu entschlüsseln, ob jemand in Diensten der Stasi stand, und was er sich in dieser Funktion zu Schulden kommen ließ, zeugt eher von Unkenntnis. Das Gericht zeigt damit nur, daß ihm der Blick in eine Täterakte — mit Verpflichtungserklärung, handgeschriebenen Berichten und Einsatzkonzeption — bislang verwehrt blieb. Kaum anzunehmen, daß die 64. Kammer des Berliner Arbeitsgerichtes in dieser, für die Arbeit der Gauck-Behörde entscheidenden, für die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit zumindest bedeutsamen Frage, das letzte Wort gesprochen hat. Matthias Geis
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