KOMMENTARE: Wider die Mikrowellen-Kultur
■ Die diesjährige Leipziger Buchmesse war ein Achtungserfolg
Ist das Buch in der vielbeschworenen Buchstadt Leipzig immer noch ein „Grundnahrungsmittel“, wie Oberbürgermeister Lehmann-Grube festzustellen meinte. Oder müssen die Menschen in den neuen Bundesländer erst „andere Lebensmittel“ zu sich nehmen, bevor sie sich wieder auf das Buch besinnen, so Suhrkamp-Chef Siegfried Unseld nicht gerade höflich? Nach dem Desaster im letzten Jahr mußte die Leipziger Buchmesse aller Welt beweisen, daß sie eine Daseinsberechtigung hat. Über jene besteht auch nach der Messe hauptsächlich Unklarheit.
Aber Leipzig sollte nach dem Willen der Verantwortlichen etwas anderes werden, eine nationale Autorenmesse, auf der die Schriftsteller im Scheinwerferlicht stehen und die Buchhändler die umworbenen Gäste sind. Auch wenn das Konzept „Intimität“ noch reichlich diffus wirkte, die zweihundert Veranstaltungen zwar gut besucht, aber wahllos aneinandergereiht wurden, hat sich Leipzig vom Schock der letztjährigen Sprachlosigkeit erholt.
Nähergekommen sind sich vor allem die kleinen Verlage und ihr potentielles Publikum. Die ostdeutschen Buchhändler haben mittlerweile ihre Verhältnisse geklärt und so den Kopf wieder frei für die Ware Buch. Die Leipziger Bühne bietet ihnen da mehr Akzeptanz als das Frankfurter Opernhaus. Will man allerdings den literarischen Achtungserfolg an wirtschaftlichen Kriterien messen, hat sich gegenüber dem letzten Jahr wenig verändert. Leipzig ist nicht der Ort für Geschäftsabschlüsse, und so zeigten sich die großen westdeutschen Verlage ungebrochen reserviert. Müssen die Ostdeutschen erst durch die Mikrowelle, oder warum haben die „westdeutschen Kulturträger“ uneingestandenermaßen die Befürchtung, das kleine Leipzig könne dem großen Frankfurt an die Lizenz?
Frankfurts Platz als Zentrum des Linzenz- und Ordergeschäftes ist unangefochten. Für den Ausbau ihrer „menschlichen Messe“ müssen die Leipziger den Börsenverein des Deutschen Buchhandels in die Pflicht nehmen, der für den Bestand der Messe eine Garantieerklärung abgegeben hat. Sowohl Messe wie Börsenverein müssen Gelder bereitstellen, um auf der „Ost-West-Drehscheibe“ auch die osteuropäischen Verlage zu präsentieren. Der Stand der GUS blieb dieses Jahr leer. Da nützt auch die „Leipziger Deklaration“, die nebulös die Rahmenbedingungen „für die gemeinsame Buchpolitik zwischen Mittel- und Osteuropa“ fixieren sollte, herzlich wenig. Das Festhalten an der Leipziger Buchmesse heißt, wider das finanzielle Kalkül — aber auch wider die Mikrowellen-Kultur — zu handeln. Es fordert den Luxusfaktor Zeit. Frankfurt wurde auch nicht an einem Tag erbaut. Nana Brink
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