KOMMENTAR : Erhellendes Feuer
Der Brand auf einem mit atomarer Fracht beladenen Schiff im Hamburger Hafen macht deutlich, wie anfällig die Rettungssysteme sind, wenn am falschen Ende gespart wird
Es musste irgendwann passieren. Denn Hamburg ist mittlerweile zur Drehscheibe von Atomtransporten aus aller Welt geworden und genießt besondere Beliebtheit für den Umschlag atomarer Fracht aus und in den Ostblock. Jährlich gehen nach offiziellen Angaben rund 180 Transporte von spaltbarem Material aus Atomkraftwerken sowie zahllose nicht registrierte Gefahrguttransporte über den Hamburger Hafen. Da war es programmiert, dass irgendwann etwas schief läuft. Doch wie krass das Ausmaß für eine Metropolregion sein kann, lässt sich erst nach der Beinahe-Katastrophe vom 1. Mai ermessen.
Da stößt eine Großstadtfeuerwehr, die auf Nuklearunfälle nicht besonders geeicht ist, nämlich schnell an ihre Grenzen und muss unter widrigsten Umständen und unter Lebensgefahr für die Brandbekämpfer die Uran-Container von Bord holen – mit herkömmlichen Mitteln, weil in ganz Norddeutschland das notwendige Kohlendioxid nicht verfügbar ist, um dem Feuer die Luft zu nehmen. Es ist dem Rotstift der Haushaltspolitiker zum Opfer gefallen. Das plumpe Argumentationsmuster: Haben wir jahrelang nicht gebraucht, dann müssen wir das Einsatzmittel auch nicht mehr vorhalten.
Und dann muss die Feuerwehr, was die Löschboote angeht, auf eine 40 Jahre alte Technik zurückgreifen, weil kein Geld für neue Schiffe bewilligt wird – im Gegenteil: Hamburgs SPD erwägt tatsächlich, mit Blick auf die Schuldenbremse ganz auf Löschboote im größten deutschen Hafen zu verzichten. Wenn Die Linke, die Grünen und die CDU den Sozialdemokraten vor dem Hintergrund des aktuellen Schiffsbrandes einen „sicherheitspolitischen Offenbarungseid“ unterstellen, ist das völlig richtig.
Dass der Brand auf der „Atlantic Cartier“ keine Katastrophe ausgelöst und zum GAU geführt hat, ist der Einsatzleitung der Feuerwehr zu verdanken. Denn als klar war, was der scheinbare Autofrachter tatsächlich noch alles an Bord hatte, hatte diese frühzeitig entschieden, das Leben ihrer Leute aufs Spiel zu setzen und das Feuer Feuer sein zu lassen, um mit herkömmlichen Mitteln die brisante Fracht vom Bord zu holen.
Auch scheute sich die Einsatzleitung im Interesse des Kirchentages, die Festivitäten in der gegenüberliegenden Hafencity sofort zu evakuieren, obwohl sie das kurzfristig in Erwägung gezogen hatte. Die Feuerwehrführer hatte diese Maßnahme als Ultima Ratio in petto – für dann, wenn es eigentlich schon zu spät ist. Hätte die Feuerwehr dieses Mittel frühzeitig angewendet, wäre der gesamte Kirchentag, der ja am 1. Mai erst beginnen sollte, wohl gelaufen gewesen. Niemand hätte sich von dem Schock so schnell wieder erholt, wäre der Eröffnungsabend am Strandkai aus Sicherheitsgründen abgebrochen worden.
Der Brand auf der „Atlantic Cartier“ hat auch gezeigt, dass die Sparpläne des SPD-Senats bei der Inneren Sicherheit – nämlich bei der Feuerwehr – fatale Folgen haben könnten, nicht nur bei Nuklearunfällen. Großstadtfeuerwehren müssen personell und ausrüstungsmäßig in die Lage versetzt werden, sogenannte „Großlagen“ schnell, effizient und professionell zu meistern. Und das kostet nun mal Geld.
Ein echter Skandal ist es, dass der SPD-Senat erst von den Grünen gezwungen werden musste, die wahre Dramatik des Feuers im Hamburger Hafen offenzulegen und zuzugeben, dass da nicht ein einfaches Frachtschiff gebrannt hat, so wie es nach dem 1. Mai in die Öffentlichkeit transportiert worden war. Mit zweiwöchiger Verspätung räumen die Behörden ein, dass eine Explosion der geladenen Munitions-Container im Zusammenspiel mit dem Zerbersten der Container mit atomarer Fracht ganz Hamburg getroffen hätte.
Jetzt muss in Hamburg und den anderen Hafenstädten an Nord- und Ostsee die Diskussion um atomfreie Zonen und das Verbot von Atomtransporten neu geführt werden. Ziel muss sein, dass der Vorstoß von Bremen und Bremerhaven, Atomfrachter nicht mehr ins Hafenbecken zu lassen, überall Realität wird. Allerdings müsste er verschärft werden, denn bislang betrifft das Umschlagsverbot nur Kernbrennstäbe. Gegen Fässer mit Uranhexafluorid wäre es wirkungslos gewesen. KAI VON APPEN
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