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KOMMENTARGroßer Sprung — tiefer Fall

■ Der Tagesspiegel künftig mit Holtzbrinck-Mehrheit

Gemütlich wie im Haifischbecken sei der Berliner Zeitungsmarkt, unkte vor kurzem ein Branchenkenner. Nun hat es die nahezu demonstrativ auf Unabhängigkeit bedachte Institution Tagesspiegel erwischt. Jahrzehntelang trotzte man — bis zur Gründung der taz — dem Fast-Monopol der Springer-Zeitungen in der Stadt, um jetzt doch geschluckt zu werden. Der Einstieg von Holtzbrinck beleuchtet deswegen vor allem den knallharten Konkurrenzkampf in der Stadt. Gerade der anvisierte große Sprung nach vorn mißlang zum Absturz. Man meinte, mit Investitionen von nahezu 100 Millionen Mark für die Hauptstadt gerüstet zu sein, und mußte feststellen, daß die Kasse leer war, bevor der Kampf um Marktanteile richtig begann. Eine neue Druckerei, eine erweiterte Redaktion und die von der Konkurrenz diktierte überstürzte Einführung einer zusätzlichen Montagsausgabe erbrachte nur geringere Leserzahlen. Gegen den Kampf der Giganten, die sich mit Dumpingpreisen und massiver Werbung auf dem Berliner Markt austoben, ist eben nicht nur die taz, sondern auch der Tagesspiegel ein Winzling. Und ob die an wirtschaftliche Unabhängigkeit des Blattes gewohnte Leserschaft den Verlust der Eigenständigkeit hinnehmen wird, muß abgewartet werden.

Verrechnet aber haben sich nicht nur der Tagesspiegel, sondern alle Verlage. Die scheinbar gerade Straße zu einem hauptstädtischen Zeitungsmarkt mit deutlichen Zuwachsraten erwies sich als steiniger Grat mit erhöhter Fallgefahr. Vor allem muß sich eine größer gewordene Zahl von Tageszeitungen eine geringer werdende Zahl von LeserInnen teilen. Politikverdrossenheit, wegsterbende Alte und zeitungsabstinente Junge ergeben eine brisante Mischung. Manches spricht dafür, daß nun das lange erwartete Umsteigen auf elektronische Medien stattfindet. Auf die nächsten Opfer kann man deshalb warten, zumal mit der Springerschen Welt bald ein weiterer Wettbewerber in das Haifischbecken springt. Gerd Nowakowski

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