KOMMENTAR: Das Dogma vom Einheitsstaat
■ Die zerrütteten Verhältnisse des jugoslawischen Vielvölkerstaates sind irreparabel
Als die Europäische Gemeinschaft die jugoslawischen Politiker vor Tagen in einer harschen Erklärung dazu aufforderte, am gemeinsamen Staat festzuhalten, der allein eine Chance habe, in die EG aufgenommen zu werden, schien der leidgeplagte jugoslawische Ministerpräsident Marković noch einmal ins politische Spiel zu kommen. Denn Marković hatte seit zwei Jahren — zeitweilig mit Erfolg — versucht, durch die Demokratisierung des jugoslawischen Systems und eine radikale Wirtschaftsreform den nationalistischen Auseinandersetzungen den Boden zu entziehen. Weil die EG die jugoslawische Währung stützte, gewann Marković sogar vorübergehend große Popularität bei den Bevölkerungen aller Republiken.
Doch diese Zeiten sind vorbei. Bei den Wahlen in den Republiken setzten sich im letzten Jahr mehr oder weniger demokratische Vertreter nationalistischer Interessen durch. An der Perspektive eines gemeinsamen jugoslawischen Staates festzuhalten, wie es die EG jetzt tut, bietet angesichts dieser Entwicklung keine Lösung der Probleme mehr. Schuld daran hat auch die EG selbst. Bis dato hat sie den Gegnern des nationalistischen Amalgams keine wirksame und realistische politische Perspektive geboten. Die politischen Entscheidungsträger in Brüssel, aber auch in Bonn, unterstützten mit der Option Marković' gleichzeitig einen zentralistischen bürokratischen Apparat, der zur durchgreifenden Demokratisierung des Landes gar nicht in der Lage war. Der Apparat, zu dem auch die Armee gehört, hat sich als reformunfähig erwiesen.
Es ist daher nicht überraschend, wenn in Slowenien und zunehmend auch in Kroatien selbst die Idee einer Konföderation der Republiken kritisiert wird. Denn in beiden Fällen würde der Apparat, wenn auch verkleinert, erhalten bleiben. Eine Volksabstimmung über die Alternative „Föderation oder Konföderation“, auf die sich die sechs Präsidenten der Republiken zunächst geeinigt haben, ist jetzt schon anachronistisch geworden. Der slowenische Präsident Kucan hat von den Interessen Sloweniens aus gesehen recht, wenn er sich querlegt: Erst wenn die Unabhängigkeit der Republiken auch formell hergestellt ist, könne wieder über eine Zusammenarbeit untereinander gesprochen werden. Da aber wegen des ethnischen Gemischs in den anderen Republiken die Grenzstreitigkeiten weiter zu bewaffneten Konflikten führen werden, ist die EG nicht aus der Verantwortung entlassen. Es wäre sinnvoll, zum Interessenausgleich der bisherigen jugoslawischen Teilrepubliken beizutragen, statt mit einem abstrakten Dogma unhaltbare Zustände stabilisieren zu wollen. Erich Rathfelder
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