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KOMMENTARWildnis im Kapitalismus

■ Zur Kritik des 'Spiegels‘ an der Umweltschutzorganisation Greenpeace

Der Gedanke, daß die Natur, die von Menschen unberührte Wildnis, als Gegenpol zur Kultur schutzwürdig ist, konnte in Europa nicht zum politischen Programm werden. Mit dem Anbruch der Neuzeit war fast ganz Europa ein Kontinuum von Kulturlandschaften. Auch Amerika war im Begriff, in weniger als 200 Jahren die Geschichte Europas zu wiederholen, und aus seiner Wildnis einen „gestalteten Garten“ zu machen. Da gewahrten im vorigen Jahrhundert Denker wie Henry David Thoreau, daß Wildnis ein essentieller Bestandteil des amerikanischen Selbstverständnisses ist, daß Amerika nur in der Auseinandersetzung mit der Wildnis und der „Frontier“ zu seiner Bestimmung gelangte. Thoreau ging in die Wälder von Massachussetts, wo er als Einsiedler lebte, um seine Gedanken zu formulieren. John Muir, der ungleich publikumswirksamere Vollstrecker der Ideen Thoreaus, zog sich ins Hochtal des Yosemite zurück und lebte in einer Holzhütte ganz der Anschauung der ursprünglichen Natur des Westens hingegeben. Auf ihn geht die Gründung des Sierra Clubs zurück, Amerikas größter Umweltschutzorganisation. Sie bedient sich der Mittel des Gegners: fundraising, lobbying, Kompromisse.

Europa war Ende des vorigen Jahrhunderts und Deutschland nach dem 2. Weltkrieg bereit zur Aufnahme des philosophischen Gedankenguts aus Amerika. Aus Amerika kam die Idee des Nationalparks, sowie civil disobedience, grassroots und direct action. Doch in Amerika wurzelten die Formulierungen des strategischen Ziels und die Taktiken zu ihrer Durchsetzung in demokratischem Boden. Eine Tradition, die in Deutschland nicht sehr ausgeprägt war. Damit hat auch zu tun, daß im europäischen und vor allem im deutschen Naturschutzdenken Gesellschaft und Natur, Umwelt- und Machtpolitik an entgegengesetzten Polen zu stehen scheinen. Anders als in Deutschland ist in Amerika die Profanierung lauterer Ziele in der Arena der Tagespolitik kein Scandalon.

Jüngstes Beispiel für die Vorstellung, daß, wer für reine Ziele streitet, auch reinbleiben muß, ist der Artikel über Greenpeace im letzten 'Spiegel‘. Unbestritten soll hier sein, daß Greenpeace mit seinen Geldern möglicherwiese falsch umgeht und undurchschaubare, hierarchische Strukturen hat. Des 'Spiegels‘ Kritik aber an Greenpeace scheint viel grundsätzlicher. Wer den Spendensammler ins Zwielicht rückt, gerät in den Verdacht, nur in Kategorien von Staatsknete, staatlicher Intervention zu denken. Etwas von der Greenpeace angekreideten Neigung, Stimmungen in der Bevölkerung auszuloten, um ihnen Rechnung zu tragen, wäre den deutschen Grünen aber durchaus zu wünschen. Ist die Wildnis auch die gedachte Gegenwelt zur kapitalistischen Zivilisation, so ist der Umweltschutz doch Bestandteil von Politik im Kapitalismus. Und kommt ohne deren Mittel eben nicht aus. Reed Stillwater

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