KOMMENTAR: Ansprüche verteidigen
■ Über den Fall Junge nicht die Maßstäbe verlieren
Kompromisse, das ist ihr Wesen, sind manchmal nur halbe Lösungen und haben deshalb ihre Tücken. Mit der gestrigen Anhörung, wie in Ostdeutschland die Richterübernahme gehandhabt wird, sollte vor allem der Koalitionsstreit um die PDS- Richterin Cathrin Junge entschärft werden. Besorgnis scheint dennoch angebracht. Soll nun als Maßstab herauskommen, künftig bei der Übernahme von ehemaligen DDR-Richtern in der gleichen Weise zu verfahren wie beispielsweise in Thüringen? In Ostdeutschland wurden immerhin rund 50 Prozent der DDR-Juristen übernommen. Es ist doch zu begrüßen, daß sich das Land Berlin auf diesem Gebiet bisher sehr schwertat und nur 13 Prozent — konkret 39 Personen — übernommen hat. Zum Streit in der Großen Koalition kam es doch lediglich wegen der PDS-Mitgliedschaft von Frau Junge, nicht wegen ihrer juristischen Vorbelastung in der SED-Zeit — mag die CDU da auch anderes behaupten. Selbst bei den wenigen Richtern, die in Berlin seit dem 3. Oktober 1990 übernommen wurden, hätte sich viel mehr Grund zu Ablehnung finden lassen als bei der jungen Richterin Junge — wenn man denn gewollt hätte. Im Gegensatz zu Frau Junge aber erkannten ihre übernommenen Berufskollegen fix die Zeichen der Zeit und warfen beizeiten die SED-Parteibücher weg. Da lobt man sich eine Frau, die sich vor soviel Opportunismus ekelt. Wahr bleibt deshalb, daß weiterhin scharfe Kriterien bei einer Anstellung angelegt werden müssen: nur sollte nicht das Kind mit dem Bade ausgeschüttet werden. Frau Junge sollte endlich übernommen werden, nicht aber die Thüringer Verhältnisse. Eine weise Lösung wäre die Anhörung nur gewesen, insofern sie den streitenden Partnern hilft, das Gesicht zu wahren und zu einer konkreten Entscheidung zu finden — und nicht zugleich die Maßstäbe sorgfältiger Prüfung über Bord gehen.(Siehe auch Seite 26) Gerd Nowakowski
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