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KOMMENTARGleichgewichtsstörungen

■ Im Berliner Wahlergebnis zeigte sich die unsichtbare Mauer der Stadt

Gleichgewichtsstörungen Im Berliner Wahlergebnis zeigte sich die unsichtbare Mauer der Stadt

Die Berliner Wahlen hatten drei schlagzeilenträchtige Ergebnisse. Wirklich erstaunlich ist nur eines: die Tatsache, daß die Reps unter zehn Prozent blieben. Der Erfolg der PDS ist überraschend, aber erklärbar. Über die schweren Verluste der CDU wundert sich niemand.

Für die Rechten waren die Umstände günstig wie nirgendwo: Es regiert eine große Koalition, die Ungeduld und Langeweile provoziert. Anders als die reichen Baden-Württemberger müssen die Westberliner tatsächlich viele Kosten der Einheit tragen. Die „Republikaner“, die in ihrer deutschnationalen Rhetorik die Wiedervereinigung stets hochgehalten hatten, profitieren zwar — paradoxerweise — vom Unmut der Westberliner, die mit dem Osten teilen müssen. Thematisieren können sie diese Stimmungen jedoch kaum. Ihr eigentliches Thema — die Einwanderungspolitik — kam in Berlin im Wahlkampf nicht vor. Die CDU war weise, machte den Asylstreit nicht zum Topthema und entzog den Rechten damit ihre Zielscheibe.

Trotzdem ist das Berliner Wahlergebnis das erste in Deutschland, in dem all die Gleichgewichtsstörungen zum Ausdruck kommen, die in den nächsten Jahren nicht nur Berlin erschüttern werden. Die Reps blieben zwar schwächer als befürchtet — aber das liegt auch an den monströsen Befürchtungen, die manche vor dem Wahltag hatten. Auf der anderen Seite der unsichtbaren Mauer ist die PDS die einzige echte Oppositionspartei, die das Ausbleiben des Aufschwungs lauthals beklagt. Sie ist alles andere als eine Linksaußenpartei — eher schon eine Heimstatt für diejenigen, über die die vom Westen vorgebenen Veränderungen zu schnell und zu radikal hereinbrechen.

Die CDU, die wirklich revolutionäre Partei des Ostens, wird für das herrschende Durcheinander verantwortlich gemacht — zu Recht. Die politischen und finanziellen Mittel, die aus dem Westen bisher abgezogen wurden, sind im Osten noch nicht angekommen. Und folglich laden beide Seiten ihren Ärger bei der Partei ab, die die Regierung anführt. Wenn die Bonner die Hauptstadt weiter finanziell aushungern, werden sie die Konflikte in der Stadt noch weiter verschärfen. Aber es waren nicht nur die Bonner Versäumnisse, für die in Berlin der Denkzettel ausgestellt wurde. Es war auch die Blockade, in die sich die Berliner Koalition immer wieder verrennt. Jetzt ist die CDU die Partei des Westens, während die SPD nach wie vor eine Klientel im Osten hat — nicht der einzige Konfliktstoff, der der Koalition zu schaffen machen wird. Einstweilen kann die gemeinsame Niederlage zusammenschweißen. Doch die SPD darf an den Wahlergebnissen auch die Hoffnung auf ein neues Regierungsbündnis jenseits der jetzigen Koalition ablesen. Die CDU aber muß weiter zittern. Hans-Martin Tillack

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