KOMMENTAR: Die letzte Chance
■ Die Stadt steht vor dem Bankrott
Der Senat hat im Laufe seiner bisherigen Regentschaft fast alle Tiefen provinzieller Politik ausgelotet, das Image der Großen Koalition ist, auch in den eigenen Reihen, denkbar schlecht. Der Ruf ist ruiniert, doch lebt es sich dann bekanntlich recht ungeniert. Und genieren darf sich die Landesregierung wahrlich nicht, wenn sie ihre letzte Chance nutzen will, das eigene politische Überleben zu sichern. Spätestens seit Finanzsenator Pieroth von Bundesfinanzminister Waigel zurückkam und statt einem Mehr ein Weniger im Portefeuille hatte, ist klar, daß die bisherige Westberliner Art der Stadtregentschaft endgültig überholt ist.
Eine völlige Umorientierung tut not. Berlin hat im Bund keine Bedeutung mehr. Der Versuch, den alten Berlinstatus nahtlos in einen Hauptstadtstatus übergehen zu lassen, um so Subventionen zu sichern, ist gescheitert. Berlin ist nach vierzig Jahren zum ersten Mal auf sich alleine gestellt, und der Senat erkennt nun langsam, daß seine Kräfte schwach sind. Die Stadt ist bankrott. Damit ist notwendigerweise auch das Ende des in West-Berlin perfektionierten Politikstils eingeläutet, durch Ausgaben Seilschaften und Einflußzonen zu sichern.
Berlin wird verostet, die Floskel von der Überwindung der Teilung durch Teilen wird eine im Portemonnaie drastisch spürbare Realität. Die Stabilität der Großen Koalition wird davon abhängen, ob sie diesen Prozeß gleichgewichtig gestalten kann. Das bedeutet für SPD und CDU, ans politisch Eingemachte zu gehen, den Sicherheitsapparat genauso einzudampfen, wie die Eigenbetriebe teilweise zu privatisieren. Welche Friktionen diese Maßnahmen in der Stadt auslösen werden, dafür war der spontane Kita-Streik nur ein erstes Indiz. Der Druck des jeweiligen Klüngels und des jeweiligen Klientel auf die Senatsparteien wird enorm werden. Wenn sie ihm nachgeben, hat die Große Koalition ihre Chance verspielt. Ihre Existenz macht dann, trotz rechnerischer Mehrheit, keinen Sinn mehr. Dieter Rulff
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