KOMMENTAR: Die Zutat für die Story
■ Journalismus, das Verbrechen und die öffentliche Person
Eine Frau dingt einen Killer, um ihren Bruder zu töten. Reicht das für eine große Story? Oder ist wesentlich, daß eine AL- Politikerin und damit eine öffentliche Person angeblich eine solche furchtbare Tat plante? Diese Tatsache zu verschweigen, verbietet sich aber auch für die taz. Nah jedoch liegt die Scheidelinie zu einem Boulevard-Journalismus, der von der Prominenz der Täterin lebt, der enthüllt ohne zu erhellen, bis hin zum untergründigen Resümee, alle AL-Politiker seien potentielle Bruder-Mörder. Um dieser Gefahr zu entgehen, muß kritischer Journalismus immer auch das eigene Handeln überprüfen. Klappt dies immer? Warum hat die taz kürzlich beim Bericht über eine Vergewaltigung bereits im Titel wissen lassen, der Täter sei Rep-Funktionär? Andererseits lassen wir doch bei Straftaten außer acht, ob der Täter Deutscher oder Ausländer ist. Sind die Opfer einer Straftat freilich AusländerInnen oder ausländische BerlinerInnen, ist das sehr wohl eine Erwähnung wert. Es paßt dazu, daß die taz konsequent die weibliche Endung benutzt, nur die Täter sind immer männlich.
Jede Tat reizt zur Motivforschung; mehr noch bei einer öffentlichen Person und je vielfältiger die Deutungsmöglichkeiten sind. Diese gerade sind es, die ansonsten schnell vergessene Meldungen zum abendfüllenden Thema machen können. Auch kritischer Journalismus, will er nicht durch Weglassen manipulieren, muß dieses Spekulieren seinen LeserInnen überlassen: Ein angeblicher Neid auf die brüderlichen Millionen scheint angesichts des eigenen Vermögens und des einfachen Lebens, welches sie erkennbar für alle Parteifreunde führte, nicht zusammenzugehen. Die angebliche Täterin scheint ein anderer Mensch zu sein als die kämpferische Linke in der AL, die sich nachdrücklich für Asylbewerber und Flüchtlinge einsetzte und wegen ihres Engagements für die Kurden mehrere Wochen im Iran inhaftiert war. Gefragt werden wird, was individuelle Tat und was einer linken Gedankenwelt geschuldet ist, zu deren Entwicklungsgeschichte einst auch ein gedanklicher Rigorisimus schlimmster Art gehörte. Es paßt ebenso zur linken Geschichte, zu verzweifeln an ungerechten Verhältnissen und an der satten Zufriedenheit der Wohlstandsgesellschaft, die unbarmherzig die Unterdrückung und das Elend der Welt ausblendet. Es war dieses Gefühl, das Ulrike Meinhof in den bewaffneten Kampf trieb. All dies sind Spekulationen. Aufklärung kann nur ein Gericht leisten. Nur: schnelle Verurteilungen und falsche Zusammenhänge verbieten sich. Diesen Verzicht zu leisten, muß kritischer Journalismus sich bemühen. Gerd Nowakowski
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