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Archiv-Artikel

KOMMENTAR VON REINER WANDLER ZU DEN UNABHÄNGIGKEITSBESTREBUNGEN KATALONIENS Madrid hat ein Problem

Das alte Zweiparteiensystem Spaniens bricht in sich zusammen

Etwa 2,2 Millionen Katalanen gingen bei einer nicht bindenden Abstimmung über die Unabhängigkeit ihrer Region an die Urnen. 80,7 Prozent stimmten für die Loslösung von Spanien, weitere 10,1 Prozent für die Föderation eines katalanischen Staats mit Spanien und nur 4,6 Prozent dafür, dass alles bleibt, wie es ist. Auch ohne jede rechtliche Bindung ist dies mehr als ein Achtungserfolg für die ständig wachsende Unabhängigkeitsbewegung.

Jetzt wird der Zahlenkrieg beginnen. Was bedeutet das Ergebnis angesichts 5,4 Millionen Wahlberechtigter? Was will die schweigende Mehrheit? All diese Debatten sind so steril wie unnütz. Denn Spanien steht – das müsste eigentlich seit Sonntag auch dem Letzten klar sein – vor einem großen Problem.

Der Prozess in Katalonien ist nicht umkehrbar. Je länger sich Madrid weigert, eine ordentliche Volksabstimmung zuzulassen, umso mehr Zulauf bekommt die Unabhängigkeitsbewegung. Und irgendwann – wohl sehr bald – wird sie einen Weg finden, ihrem Begehren Ausdruck zu verleihen. Von vorgezogenen Neuwahlen, bei der alle Parteien, die für die Unabhängigkeit sind, gemeinsam antreten, um die Mehrheit zu erlangen, ist zum Beispiel die Rede.

Es besteht kein Zweifel: Die spanische Nach-Franco-Ordnung ist gescheitert. Die alten Konflikte sind auch nach dem Übergang von der Diktatur zur Demokratie weiterhin wirksam, die Krise hat sie an die Oberfläche gespült. Aber es ist nicht nur die Frage, ob Katalonien, Baskenland, Galizien oder andere Regionen Spaniens, die nach Unabhängigkeit streben könnten, ein Ende der Ordnung der Verfassung von 1978 heraufbeschwören. Es geht auch um die gesamtpolitische Lage des Landes.

Denn auch im restlichen Spanien macht sich Unmut breit. Das Zweiparteiensystem bricht wegen der von ihm verhängten Sozialkürzungen und der verbreiteten Korruption in sich zusammen. Die Empörung sucht sich neue Wege und findet sie in der erst vor wenigen Monaten entstandenen Partei Podemos („Wir können“), die in einigen Umfragen bereits als landesweit stärkste politische Kraft gehandelt wird.

Die Ordnung von 1978 hat ihre Legitimität völlig verloren. Wie dieses Problem zu lösen ist? Sicher nicht, indem demokratische Ausdrucksweisen wie ein Referendum im Falle Kataloniens von Madrid unterdrückt werden.