KOMMENTAR VON JAN KAHLCKE : Grüne mit leeren Händen
Als in Hamburg die erste schwarz-grüne Koalition auf Landesebene beschlossen war, begann die bürgerliche Presse von einer „Versöhnung des Bürgertums mit sich selbst“ zu schwärmen: Politische Risse in alt eingesessenen Hamburger Familien schienen gekittet, plötzlich konnte man wieder miteinander reden. Und die Grünen schienen sich erstaunlich wohl in dieser neuen Harmonie zu fühlen.
Nun schlägt das Bürgertum zurück: Dem zentralen grünen Projekt im Pionier-Bündnis schlägt eine Welle der Ablehnung entgegen – und zwar, wie die Unterschriftenzahlen zeigen, nicht nur aus der CDU-Klientel in den vornehmen Elbvororten, sondern durchaus auch aus der grünen Anhängerschaft. „Eigentlich“, sagen viele, seien sie ja auch für längeres gemeinsames Lernen – aber sobald die eigenen Kinder betroffen sind, sind sie sich nicht so sicher, ob die noch zwei Jahre mehr mit Unterschichtskindern die Schulbank drücken sollen.
Die Primarschulpläne leiden unter einem Paradoxon: Sie sollen eine egalitärere Schule in einer auf Konkurrenz ausgerichteten Gesellschaft schaffen. Das grundsätzlich richtig zu finden ist leicht. Aber im Ernstfall ist den Eltern das Hemd näher als die Hose, wiegen die vermeintlich besseren Zukunftschancen der eigenen Kinder schwerer als die der ganzen Gesellschaft.
Mit diesem Projekt hätte jede Koalition scheitern können – Volksgesetzgebung sei Dank. An ihm scheitern muss nur Schwarz-Grün. Weil die Grün-Alternative Liste (GAL) sich zu sehr auf dieses eine Thema kapriziert hat. Die Primarschule – eigentlich auch nur ein schwacher Ersatz für die Gemeinschaftsschule bis zum Abitur – haben die Grünen zum Trostpflaster für all die Niederlagen von Moorburg über die Innenpolitik bis zur Elbvertiefung stilisiert. Wenn die Primarschule jetzt wegbricht, halten sie bestenfalls noch eine Liberalisierung des Strafvollzugs und eine halbe Straßenbahnlinie in Händen – zu wenig für die nächste Bürgerschaftswahl.
Fast könnte man meinen, die CDU hätte vor zwei Jahren die Primarschulpläne abgenickt, weil sie sich darauf verlassen konnte, dass ihre Gymnasialklientel das Projekt zu Fall bringen würde. Nun könnte deren Erfolg die CDU die Regierung kosten. Die GAL hätte eine zweite Chance, das zunächst verschmähte Bündnis mit SPD und Linkspartei zu probieren – und vor der nächsten Wahl noch Pluspunkte bei anderen Themen zu sammeln.