KOMMENTAR VON DENIZ YÜCEL ZU DEN PROTESTEN IN DER TÜRKEI : In der Macheten-Demokratie
An die Polizeigewalt hat man sich in der Türkei inzwischen gewöhnt. Für den größten Gesprächsstoff sorgte nach den mit Reizgas aufgelösten Protesten vom Wochenende daher ein YouTube-Video. Darin zu sehen: meist mit Knüppeln bewaffnete Männer, die von der Polizei ungehindert Demonstranten angreifen. Einer von ihnen hat eine Machete in der Hand.
Die Bilder dürften Ministerpräsident Erdogan sehr gelegen kommen. Schon am Tag nach der Räumung des Gezi-Parks war eine Gruppe von 100 bis 200 Männern aufgetaucht. Sie kam aus Kasimpasa – dem Viertel, in dem Erdogan aufwuchs – und machte Jagd auf Demonstranten. Die umstehenden Polizisten ließen sie gewähren.
Die Botschaft solcher Bilder ist eindeutig: Es ist die Drohung mit dem Bürgerkrieg. Wenn schon Polizeiknüppel die Leute nicht einschüchtern, hilft vielleicht, ihnen die siebziger Jahre ins Gedächtnis zu rufen.
Damals bekämpften sich im ganzen Land linke und rechte Gruppen, staatliche Kräfte trugen zur Eskalation bei. Dass der Taksimplatz für die türkische Linke bis heute ein fast mythischer Ort ist, hängt auch mit dem 1. Mai 1977 zusammen, als Unbekannte auf eine Kundgebung schossen. 34 Menschen starben.
Eine Regierung, die solche Bilder zulässt oder gar inszeniert, spielt mit der Erinnerung an jene Tage. Schon zu Beginn der Proteste hatte Erdogan gesagt, dass er die anderen 50 Prozent der Bevölkerung nur „schwer zurückhalten“ könne. Zuzutrauen ist es dieser Regierung allemal, bewaffnete Hilfstruppen auf Demonstranten loszulassen. Zwei der Knüppelmänner wurden später doch noch festgenommen, sind inzwischen aber wieder auf freiem Fuß. Sie haben sich ja auch nichts Schlimmes zuschulden kommen lassen: weder Nelken auf dem Taksimplatz abgelegt, noch – Gott bewahre – Zelte aufgeschlagen.