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Archiv-Artikel

KOMMENTAR DES TAGES Gold für Indien? Wie bitte?!

Nun ist es nach 108 Jahren Olympiageschichte so weit: Zum ersten Mal hat Indien eine Goldmedaille in einer Individualsportart bekommen. Ja, wirklich! Man mag zwar Indien und China immer im Gleichklang nennen, wenn es um die Macht in Asien geht, doch beim Sport hat das Boomland China das Boomland Indien längst abgehängt. Erstaunlich? Nein.

Wer einen Inder fragt, welchen Sport er so treibt, der wird nicht selten „Spazieren gehen“ zur Antwort bekommen. Im Ernst. Selbst im so genannten Joggers’ Park in Bombay sieht man kaum jemanden joggen, nein, hier wird mit Schweißband, Turnschuh und Sporthosen zügig gegangen. Ergänzt wird dieses „sportliche“ Programm unter Umständen durch eine Yoga-Session im heimischen Schlafzimmer. Das reicht, mehr Bewegung muss nicht sein. Es reicht wohl auch so.

Die Jugend spielt zwar, genau wie in Deutschland, soweit sie es sich leisten kann, Fußball und Basketball. Doch sobald es auf den Schulabschluss und die Universität zu geht, wird nur noch gelernt. Im Rennen um die Studienplätze im Ausland, um einen guten Arbeitsplatz, um eine Stellung in der neuerlich reichen Gesellschaft hat Sport keinen Platz mehr. Und da wäre dann noch Kricket. Das große Erbe der britischen Kolonialzeit. Ein Sport, deren Sportler so unsportlich sein können, dass man selbst während sie auf dem Spielfeld stehen noch fürchten muss, dass sie einen Herzinfarkt erleiden könnten.

Auch wenn man sich die Gründe für das Wirtschaftswachstum beider Staaten anschaut, wird schnell deutlich, weshalb Indien im Medaillenspiegel bisher nicht auftauchte: Die chinesische Wirtschaft boomt wegen der Regierung, die indische trotz. Und genauso steht es um den Sport: In China werden schon junge Kinder in Sportinternate gesteckt, wo sie für zukünftige Olympia-Erfolge getrimmt werden. In Indien findet man nichts dergleichen. Leistungssport hat in seiner vergeistigten Gesellschaft keinen großen Stellenwert. Bewegung, das ist was für die, die es müssen.

So ist es nur logisch, dass die indische Goldmedaille, die erste, nun auch in einem Sport erzielt wurde, in dem es nicht darauf ankommt, höher, schneller oder weiter zu kommen, sondern exakter und präziser zu arbeiten: dem Schießen.

Abhinav Bindra, 25, aus Chandigarh hat auch schon eine Erklärung für seinen Erfolg. „Ich habe hart gearbeitet, meine Heimat verlassen und in Deutschland trainiert“, sagte er.

Na dann, da haben wir sie ja, die Erklärung. NATALIE TENBERG