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Archiv-Artikel

KOHL, SORGEN Alles Politstümper, auch Mutti

Es hört einfach nicht auf. Die Kohl-Wochen laufen und laufen. 25 Jahre Mauerfall sind ein zu schöner Anlass, die Aufmerksamkeit auf den Bundeskanzler a. D. zu richten. Gleich zweifach tut das nun der Droemer Knaur Verlag. Fast zeitgleich erscheinen Kohls überarbeiteter Erinnerungsband „Vom Mauerfall zur Wiedervereinigung“ sowie der Aufsatz „Aus Sorge um Europa“.

Dieser 120 Seiten dünne Band ist unmissverständlich eine Abrechnung mit den Politstümpern des 21. Jahrhunderts. Also mit jenen, die auf ihn, den visionären Politikgestalter, folgten. Immerhin war Helmut Kohl von 1982 bis 1998 Kanzler der Bundesrepublik. Bis Anfänger wie Schröder und Merkel kamen.

Helmut Kohl lässt es ruhig angehen. Zu Beginn seiner Suada schildert er, wie er auf seiner Terrasse in Oggersheim sitzt – „das Stück der Berliner Mauer, das in meinem Garten steht, fest im Blick“ – und über Europa sinniert. Es ist das Selbstbild vom Weltenlenker: das große Ganze und ein paar Meter Stahlbeton im Visier.

Was er da sieht, bereitet ihm Sorgen. Zwar haben Politiker seiner Generation die europäische Einigung wohl gerichtet; doch leider bekamen hernach andere das Heft des Handelns in die Hand. Harsche Kritik übt er vor allem an Schröders rot-grüner Regierung. Erst hätten sie Griechenland verfrüht in die Eurozone geholt, dann hätten sie dabei geholfen, den Eurostabilitätspakt aufzuweichen. Die Folge war die Eurokrise. Das Ganze sei „ein Schandstück deutscher Politik“, wettert Kohl in seinem Buch.

Zur europäischen Außenpolitik nimmt er sich die Freiheit, die Regierung Merkel – und damit seine eigene Partei – abzuwatschen. Der Westen, so Kohl, habe Russland in der Ukrainekrise politisch zu stark isoliert. Das blutige Ergebnis könne man dieser Tage besichtigen.

Ganz klar, Helmut Kohl ist gesundheitlich seit Langem nicht mehr in der Lage, ein solches Buch zu schreiben. Seine Ehefrau Maike Kohl-Richter war seine Ghostwriterin. Bei der Präsentation des Aufsatzes in Frankfurt erklärte sie dazu: „Mein Mann hat das im Kopf. Ich gehe dann in die Archive und suche ihm raus, was er im Kopf hat. Dann lege ich ihm schrittchenweise die Dinge vor, dann redigiert er wie früher.“

Wie früher ist schon lange nichts mehr im Leben von Helmut Kohl. Dennoch, das misstrauische Beäugen der Ehefrau eines pflegebedürftigen, gleichwohl wachen Menschen steht niemandem an. ANJA MAIER