KINDERSCHUTZ: 2.000 Kindernotrufe pro Jahr
Doppelt so viele Inobhutnahmen wie vor Kevins Tod, das Jugendschutztelefon steht nicht still. Stadt sucht mehr Pflegefamilien, die Kinder übergangsweise aufnehmen.
Sechs Anrufe am Tag, davon zwei, bei denen die Sozialbehörde sofort aktiv werden muss, weil eine Gefahr für das Kindeswohl nicht ausgeschlossen werden kann. Und, übers Jahr verteilt, 210 Fälle, in denen die MitarbeiterInnen am Notruftelefon aufgrund eines Anrufs eine sofortige Inobhutnahme eines Kindes organisieren - abends, nachts oder am Wochenende. Das ist die Bilanz des Kinder- und Jugendschutztelefons für das Jahr 2009, die Zahlen im ersten Halbjahr 2010 sind vergleichbar. "Wir haben eine hohe Sensibilität in der Bevölkerung", konstatiert Herbert Holakovsky, Referatsleiter Erziehungshilfen im Amt für Soziale Dienste. Ein Großteil der Anrufe geht von besorgten NachbarInnen aus, in seltenen Fällen rufen Jugendliche auch selbst an. Die Notrufnummer 69 91 13 3 wurde im Februar 2007 als Reaktion auf den gewaltsamen Tod von Kevin eingerichtet.
Die tagsüber von den Sozialbehörden aufgrund von eigenen Hinweisen oder Notrufen eingeleiteten Inobhutnahmen miteingerechnet werden in Bremen jährlich 500 bis 600 Kinder aus ihren Familien genommen, manchmal für ein paar Tage, manchmal für Wochen und Monate. Vor Kevins Tod lagen die Zahlen nur etwa halb so hoch.
Alles in allem benötige man etwa 140 Notaufnahmeplätze, sagte Holakovsky. Das Sozialressort will dabei künftig in erster Linie auf Pflegefamilien zurückgreifen. "Im Familienrahmen ist meist eine bessere Betreuung möglich", sagte Sozial-Staatsrat Joachim Schuster. Außerdem koste eine solche Unterbringung den Staat nur etwa ein Viertel so viel wie eine Unterbringung im Heim.
Bisher standen in Bremen 62 Notaufnahmeplätze in Heimen zur Verfügung, 14 davon fallen bis Jahresende weg. Daneben bieten 35 Bremer Familien 58 Übergangspflegeplätze an. Die Betreuung dieser Familien übernimmt künftig die Pflegekinder in Bremen gGmbH (PiB). Sie soll zugleich weitere Familien gewinnen und ausbilden sowie die Behörde bei der Auswahl der geeigneten Pflegefamilie für die Kinder unterstützen. Anders als bisher sollen Kinder künftig auch abends bis 23 Uhr und am Wochenende in Pflegefamilien vermittelt werden können.
PiB-Geschäftsführerin Monika Krumbholz zeigte sich gestern zuversichtlich, bis Jahresende die erhofften zusätzlichen 25 Familienpflegeplätze anbieten zu können. PiB habe in den vergangenen zehn Jahren bereits 550 Kinder in Dauerpflege vermittelt, einige seien bereits wieder aus dem Haus. Diese Familien werde man gezielt ansprechen, ob sie auch als Übergangspflegestelle zur Verfügung stünden. Ansonsten suche man nach geeigneten Familien, Paaren und Einzelpersonen. Voraussetzungen sind eine hohe Belastbarkeit und hohe Flexibilität, sich auf die fremden Kinder einzustellen.
Was neben dem Zusatzverdienst winkt, schilderte gestern eine Pflegemutter, die bereits 30 Kinder übergangsweise betreut hat: "Viel positives Feedback" und "die Möglichkeit, das Leben zu beeinflussen".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Getöteter General in Moskau
Der Menschheit ein Wohlgefallen?
Sturz des Assad-Regimes
Freut euch über Syrien!
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Bombenattentat in Moskau
Anschlag mit Sprengkraft
Weihnachten und Einsamkeit
Die neue Volkskrankheit
Foltergefängnisse in Syrien
Den Kerker im Kopf