KIM TRAUPOLITIK VON UNTEN : Meine Lebensleistung
Wo bei anderen Studierenden Praktika und Auslandsaufenthalte stehen, ist in meinem Lebenslauf ein weißer Fleck. Dabei ist in dieser Zeit so viel passiert wie nie. Muss ich das verstecken?
In meinem Lebenslauf klafft eine Lücke. Jahrelang fiel es mir nicht auf, die Zeit war voller Ereignisse und die alten Bewerbungsunterlagen lagen in der Schublade. Zum letzten Mal habe ich mich vor Beginn meines Studiums beworben. Und vor meiner Transition, der Angleichung meines äußerlich wahrgenommenen Geschlechts an mein gefühltes.
Den Lebenslauf auf den neuesten Stand zu bringen, ist nicht so einfach wie ich dachte. Da wo andere ihre Auslandsaufenthalte und Praktika während des Studiums nennen, ist bei mir ein weißer Fleck. Ich habe in den letzten Jahren viel getan, das mich Zeit und Kraft gekostet hat: Eine Psychotherapie mit 25 Sitzungen, ein Verfahren beim Amtsgericht zur Vornamensänderung, dazu gehörten eine Anhörung beim Richter sowie zwei Gutachten, ein Antrag auf Kostenübernahme der geschlechtsangleichenden Operation bei der Krankenkasse, dafür waren wieder zwei Gutachten nötig, sowie diverse medizinische Befunde, vier Vorgespräche für die OP bei Chirurg_innen in Krefeld, Osnabrück und München, über vierzig Sitzungen zur Entfernung der Gesichtsbehaarung, drei Krankenhausaufenthalte von achtzehn, neun und zwölf Tagen Dauer, eine komplette Umstellung meines Kleiderschranks, viele klärende Gespräche mit Verwandten, Bekannten, Freunden und unbeschreiblich viele Stunden für Recherche, Organisation, Hinterhertelefonieren, An- und Rückfahrten.
Und das alles soll eine Lücke sein? Ich sehe es als Lebensleistung, auf die ich stolz bin.
Aber wie soll man so etwas in seinem Lebenslauf abbilden? Unter welcher Rubrik? Eigentlich betrifft diese Frage jede_n. Wo stehen in den Bewerbungsunterlagen Hürden im Leben, die man gemeistert hat? Wo steht das Burn-out? Oder der Unfall, die längere Reise, die überwundene Krankheit, das Coming-out oder die Pflege eines Mitmenschen – eben Herausforderungen, denen man sich stellen musste. Solche Lebenserfahrungen prägen, nur sichtbar dürfen sie nicht sein.
Gerne hätte ich eine Rubrik – vielleicht nenne ich sie Lebenserfahrung? –, in die ich eintragen könnte: 2006–2010 Transition (Geschlechtsangleichung). Möglicherweise verringert das bei manchen Arbeitgebern meine Chance auf eine Stelle. Aber wir leben doch in einer Leistungsgesellschaft. Warum sollte ich so eine ungeheure Leistung da verstecken?
■ Die Autorin ist Studentin und leitet eine Trans*-Jugendgruppe in Berlin Foto: privat