KIM TRAU POLITIK VON UNTEN : Wie sich Östrogene anfühlen
Eine Hormontherapie kann zu Emotionen führen, die nicht mehr so leicht verschwinden. Wie etwa die Angst
Ich habe in letzter Zeit oft Angst. Ganz diffus, wie etwa vor meiner Zukunft oder um meine Gesundheit. Aber auch ganz konkret, vor meinem letzten Referat zum Beispiel. Oder vor drei Wochen, als ich das erste Mal in die USA zu einer Konferenz geflogen bin. Das war keine Aufgeregtheit mehr, denn die belebt, während Angst eher lähmt oder den Blick einschränkt, wie wenn man um sein Leben läuft.
Vielleicht liegt das daran, weil mein Leben wieder vor einem Umbruch steht. Keinem geschlechtlichen diesmal, sondern einem in meinem Lebensweg. Dieses Jahr werde ich wohl meinen Masterabschluss machen, und was danach kommt, das ist noch nicht klar. Praktika? Promotion? Alles noch nicht entschieden. Erst mal den Abschluss schaffen, sage ich mir immer.
Dieser Schritt ins Unbekannte erinnert mich an die Zeit meiner Pubertät. Da hatte ich auch oft Angst. Konnte nicht schlafen, weil ich mich wie im freien Fall fühlte, ohne Bezugspunkt, ohne Anker. Damals kam auch noch hinzu, dass mein Körper vermännlichte und ich mich in meiner Haut immer weniger wohl fühlte. Das ist heute anders. Mein weiblicherer Körper passt besser zu mir, ist stimmiger. Aber die Angst ist wieder da.
Letztens habe ich mich mit einer Kommilitonin getroffen, die ich ganz am Anfang meines Studiums kennengelernt habe. Das war spannend, da inzwischen in unser beider Leben so viel passiert ist. Wir haben uns auf Anhieb wieder gut unterhalten. Auch über Angst. Nicht gerade ein Thema für Kaffeeklatsch.
Ich erzählte ihr, dass ich mich oft so dünnhäutig fühle und Angst habe. Sie meinte, dass das vielen ihrer Freundinnen so gehe und ich das doch als Zeichen meines Frauseins sehen könnte. Also Angst als eine Sache der Hormone? Tatsächlich konnte ich, als ich noch mehr Testosteron im Blut hatte, Probleme oder Stress leichter wegdrücken. Nicht vollständig, aber eben doch leichter. Heute, nach meiner Hormontherapie, gelingt mir das so gut wie gar nicht mehr. Meine Freundin erzählte mir auch, dass sie persönlich viele Frauen kennt, die mit ihrem Arbeitsplatz nicht zufrieden sind, aber aus Angst nicht den Schritt ins Unbekannte wagen.
Ist Angst also auch ein Karrierehemmnis? Dafür spricht, dass Angst oft sprachlos macht: Wer außer Kindern sagt schon: „Ich habe Angst“? Angst hat man allein, trauern kann man hingegen auch öffentlich. Angst bleibt damit unsichtbar. Dabei ist es so entscheidend, ob wir uns einen neuen Schritt zutrauen oder ob wir davor zu viel Angst haben – das bestimmt, was wir aus unserem Leben machen. Angst geht uns aber auch alle an, als Gesellschaft. Denn wenn die Regeln und Strukturen, in denen wir leben, vor allem von denen geschaffen werden, die weniger Angst haben, dann bleibt das Potenzial vieler ungenutzt. Und diese vielen, das sind wohl mehr Frauen als Männer.
■ Die Autorin studiert Geschichte in Uppsala Foto: privat