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Archiv-Artikel

KIM TRAU POLITIK VON UNTEN Abschied von der Zerrissenheit

Berlin ist ein guter Ort, um über Geschlechtsidentität zu grübeln, sich selbst neu zu empfinden und die ersten Pumps zu kaufen. Weil man hier Hilfe bekommt

Umzüge sind eine heikle Sache für mich. Kaum ist der Transporter ausgeräumt und ich kann mich das erste Mal hinsetzen, muss ich erst mal heulen. Die Anspannung sucht sich ihren Weg nach draußen.

An diesem Samstag wird mir das wohl wieder passieren. Ich ziehe um von Berlin nach Dresden. Nach viereinhalb Jahren nehme ich Abschied von der Stadt, die mich mit ihren Widersprüchen und ihrer Zerrissenheit magisch anzog. Denn wie viele hier Lebende spürte ich die Zerrissenheit auch in mir.

Was für Berlin das Mit- oder Gegeneinander von Alt/Neu, Ost/West, ein/kein Migrationshintergrund, Unterordnung/Autonomie ist, das war für mich die Frage: „Bin ich Mann oder Frau?“ In den ersten Monaten in der noch fremden Stadt fühlte ich mich oft verloren und haltlos. Das zwang mich in eine Phase des Grübelns und Zweifelns, denn die Leute, die mich hätten ablenken können, musste ich erst noch kennenlernen.

Ohne dass es mir bewusst war, wurde mein Rückzug ins Schneckenhaus der Beginn meiner Verpuppung. Erst war da nur das Internet. In Chats bis spät in die Nacht diskutierte ich mit Unbekannten über Sexualität, Identität und Geschlecht. In der Anonymität traute ich mich. Bald ging ich zum ersten Mal zu einer Gruppe für Trans*Leute im Treffpunkt Sonntags-Club. Dann folgte ein Beratungsgespräch bei dem Verein TrIQ – TransInterQueer – wo ich Hinweise zu trans*freundlichen Ärzt_innen bekam. Ich suchte nach Räumen, in denen ich reden konnte über Fragen nach dem eigenen Geschlecht und wie man damit fertig wird, wenn es nicht passt. Das, was man fühlt, und das, was im Pass steht.

In Berlin gibt es solche Räume. Deshalb war es hier einfacher als an jedem anderen Ort in Deutschland, diesen Weg zu gehen. Ein Prozess, der in Berlin zwölf Monate dauert, kann auf dem Land Jahre in Anspruch nehmen. Darum habe ich dieser Stadt viel zu verdanken.

Im Mai 2008 nahm ich am European Transgender Council in Berlin teil, ganz öffentlich als Frau, eine Premiere für mich. Kurz davor hatte ich das erste Mal eine Gruppe des Jugendnetzwerks Lambda besucht, des Vereins, für den ich mich später engagieren sollte. Von da an ging es auch mit meiner Geschlechtsangleichung richtig los. Östrogene bekam ich schon ein Jahr lang, aber ich traute mich nicht an meinen Kleiderschrank. Nachdem ich meiner Psychologin mal wieder von der Hemmung, Frauensachen zu kaufen, erzählt hatte, sagte sie: „Frau Trau, wenn Sie sich das nicht in Berlin trauen, wo sonst?“

Ja, wo sonst? Es ist die Freiheit der Vielfalt, die Trans*Leuten entgegenkommt. Eine Woche später stand mein erstes Paar Pumps im Flur. Zwei Nummern zu große Faltenröcke in meinem Schrank erinnern mich heute daran, wie froh ich manchmal war, vor Aufregung überhaupt etwas gekauft zu haben. Diesen Umzug werden sie nicht überstehen. Ich nehme nur wenig mit, das Meiste wird bei einem Berliner Freund im Keller verstaut. Ich möchte mehr als nur einen Koffer haben, in Berlin.

Die Autorin ist Studentin Foto: privat