KATHARINA GRANZIN CRIME SCENE : Ein kalter Wind vom Gestern her
Man kann wirklich froh sein über die Gnade der späten Geburt, über die man ja nicht oft nachdenkt. Manchmal aber kommt so ein eisiger Wind daher, direkt aus dem Vorvorgestern ins Unterbewusstsein, und dann schüttelt’s einen kalt. Rudolf Lorenzens Roman „Bad Walden“ (Verbrecher Verlag, 234 S., 22,90 Euro) ist so etwas wie ein steter polarer Luftstrom, der unbemerkt durch die Ritzen des wohlgeheizten Lesezimmers dringt, bis die Temperatur unter den Gefrierpunkt sinkt. Lorenzen, der den größten Teil des letzten Jahrhunderts schon miterlebt hat, seziert darin die Siebzigerjahre.
In der deutschen Provinz, exemplarisch gefasst im Bild des imaginären Schwarzwaldstädtchens Bad Walden, herrschen Mief, Enge und die Wertmaßstäbe der Nazizeit. Ein Frankfurter Antiquitätenhändler-Ehepaar, das sich in die vermeintliche Idylle verirrt, gerät in eine Intrige aus Betrug, Medienmanipulation und Mord. Dabei hätten sie die Zeichen erkennen können, wäre er in seiner Überkultiviertheit nicht unfähig, eine Beziehung zur Gegenwart zu entwickeln, und wäre sie nicht zu sehr damit beschäftigt, sich selbst und die Welt in Szene zu setzen. Die kleine Filmkamera, die sie stets mit sich führt, wird ihnen zum Verhängnis. Denn als sie bei einem geselligen Abend das gedrehte Material vorführen, ist deutlich zu sehen, wie vor laufender Kamera eine Frau erschlagen wird.
Lorenzen interessiert die Aufdröselung der Intrige wenig, die Hintergründe des scheinbaren Verbrechens werden ohnehin schon zu Beginn angedeutet. Was sein „Bad Walden“ so beklemmend macht, ist die spürbare Allgegenwart einer diffusen Bedrohung bei völliger, fast schon arroganter Ahnungslosigkeit seiner Protagonisten. So geschieht’s ihnen recht, was ihnen geschieht, und überhaupt geschieht’s hier allen recht. Und da man heilfroh ist, dass man in einem Eisloch wie diesem nicht leben muss, ist dies trotz allem eine Lektüre, die glücklich macht.