KARLSRUHE: KEIN EINWAND GEGEN DEN EU-HAFTBEFEHL : Deutsche müssen nacharbeiten
Der große Showdown ist ausgeblieben. Mit dem gestrigen Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Europäischen Haftbefehl können alle Seiten leben. Die von manchen erhoffte und von anderen befürchtete Abrechnung mit der EU ist ersatzlos entfallen. Bei näherer Beschäftigung mit der Materie ist den Karlsruher Richtern wohl aufgegangen, dass das EU-Recht gar nicht so schlecht ist.
Natürlich kann der EU-Haftbefehl dazu führen, dass ein Deutscher für eine Tat ins Ausland ausgeliefert wird, die in Deutschland so nicht strafbar wäre. Die Alternative – erst ein einheitliches EU-Strafrecht für alle 25 Mitgliedstaaten zu schaffen und dann die Auslieferung ans EU-Ausland zu erlauben – erschien den EU-skeptischen Richtern in Karlsruhe aber noch schlimmer. Die Anerkennung der unterschiedlichen Strafrechtsordnungen ist im Vergleich zum EU-Superstaat doch das kleinere Übel. Außerdem haben die Richter festgestellt, dass die EU-Vorgaben genügend Spielraum ließen, um all ihre Wünsche zu erfüllen. Geprügelt wurden gestern deshalb nicht die Europäer, sondern Bundesregierung und Bundestag.
Dabei muss die Bundesregierung nun aber nicht in Sack und Asche laufen. Die Forderung, dass Deutsche bei Taten ohne Auslandsbezug nicht ausgeliefert werden dürfen, wird in der Praxis höchstens eine Hand voll Fälle betreffen. Es handelte sich hier wohl eher um ein Konstrukt der Richter und mancher Medien. Schon bei der mündlichen Verhandlung hatte die Bundesregierung überdies erklärt, dass in solchen Fällen auch kein Gericht einer Auslieferung zustimmen würde, weil dies unverhältnismäßig wäre.
Doch Karlsruhe genügte das nicht. Die Richter wollen die Grundsätze, die ihnen wichtig sind, im Bundesgesetzblatt sehen; deshalb muss nun novelliert werden. Im Prinzip ist das auch nicht falsch, denn Transparenz ist immer gut. Es scheint den machtbewussten Karlsruher Richtern aber auch ganz recht zu sein, dass das Urteil nun etwas dramatischer wirkt, als es eigentlich ist. Ein „nichtiges“ Gesetz macht eben mehr Wind, als wenn Karlsruhe – was ebenso gut möglich gewesen wäre – den Fachgerichten einige klare Vorgaben mit auf den Weg gegeben hätte. CHRISTIAN RATH