KAPITALISTEN-THEATER: Am Golde krankt doch alles
Timon von Athen ist keine Tragödie, eine Komödie ist es deshalb noch lange nicht. Die Shakespeare Company zeigt das Stück furios als unentrinnbaren Kreislauf der Krisen.
Unerbittlich wie nahendes Infanteriefeuer donnern die Räder von Stufe zu Stufe: Alcibiades, der verbannte Held und General, wuchtet einen Einkaufswagen die Treppe hinab. Entschlossenen Blicks strebt er geradewegs auf die Bühne des Theaters am Leibnizplatz: Dort liegt Athen. Alcibiades Wagen ist ein Panzer der Kaufkraft. Nichts kann den in seiner Ehre verletzten Soldaten bremsen, da lässt Frank Auerbach in Kampfmontur keinen Zweifel. Nichts kann ihn abhalten von der Rache an der undankbaren Republik, nichts seinen Zorn beruhigen. Nichts, außer Gold.
Und Gold wird ihn stoppen. Es gibt keine Katastrophe in "Timon aus Athen", das am Donnerstag in der Shakespeare Company Premiere feierte. Das Stück ist keine Tragödie. Eine Komödie ist es deshalb aber noch lange nicht: Überzeugend lässt sich dieses unbequem-gattungsfreie Shakespeare-Stück als permanente Krise auffassen, wies die Company tut.
Denn die Lösung des Konflikts wird mittels Geld nur verlagert. Die Titelfigur stirbt zwar - aber da ist sie schon out. Ohne ihm zu entrinnen scheidet Timon aus dem Kreislauf der Krisen aus, als er ihn unterbrechen, also vernichten will. Erst ist er reich, verarmt dann, gefällt sich im Selbstmitleid, das Michael Meyer als radikalen Regress ins Naturhafte mitreißend auslebt. Doch findet er beim Rückzug in die Wälder - Gold. Angeleitet vom Zyniker Apemantus - Petra-Janina Schulz spielt ihn als misstönenden Unheils-Clown - investiert ers in den zornigen General. Bloß ist das Werkzeug seiner Rache - bestechlich. Am Ende lässt Regisseur Sebastian Kautz ihn an genau der Stelle ankommen, an der Timons Abstieg begann. Während der vorne an der Rampe still verendet, ruft Auerbach im Hintergrund, nun in schicker Paradeuniform mit dem Athener Geldadel fröhlich zechend und in aggressiv-rotes Licht gehüllt: "Willkommen bei Alcibiades Fest!"
"Willkommen bei Timons Fest!" hatte Meyer im ersten Teil des Abends mit vor Glück bebender Stimme intoniert, immer wieder, refrainartig. Und eine zweite Formel destilliert die Spielfassung aus dem alten Text: "Wir sind geboren, Gutes zu tun!", lässt sie Timon exzessiv wiederholen, stets, wenn er sich als Gönner inszeniert: Das Zitat entpuppt sich als Werbe-Slogan.
Das hat etwas von Holzhammer. Aber ein Holzhammer ist ein höchst effektives Werkzeug, wenns darum geht, den Nagel auf den Kopf zu treffen. Und daneben gehauen wird selten. Klar, böse Kapitalisten durch Spielzeugzigarren kenntlich zu machen, gilt auch in der Schultheater-Szene schon als abgedroschen. Und störend ist Gunnar Haberlands Lucullus: Er versucht Bully Herbig zu imitieren, wie er eine Karikatur eines Schwulen spielt. Ist das komisch?
Das Publikum lacht. Und es ist ja auch klug, ihm hie und da ein Zuckerl zu reichen, während man ihm auf den Kopf drischt, es mit betonter Langsamkeit auf die Folter spannt, es mit ewigen Wiederholungen eines unentrinnbaren Kreislaufs quält - sehr genussvoll quält: Eine mutige Stückwahl, eine mutige Aufführung, ein furioser Abend. Denn aus diesem Timon spricht, fast greifbar, eine ungeahnte Wut.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!