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Archiv-Artikel

KAI SCHÄCHTELE WUTBÜRGER Eine Bahn fürs Leben

Zugegeben: Mitunter verhält sich die Bahn wie ein Ehepartner, der zu spät kommt, sich ohne Erklärung an den Tisch setzt und für den Rest der Verabredung so tut, als sei alles in Ordnung. Aber es hilft nichts. Die Bahn und wir – das ist ein Bund fürs Leben. Es ist höchste Zeit für einen Friedensschluss.

Für den Großteil der Deutschen scheint der allerdings an einem unerreichbaren Fernbahnhof zu liegen. Über die Bahn zu meckern, ist das Hobby all derer, für die immer die anderen schuld sind. Und zwar an allem. Ein ICE kann wegen einer Baustelle nur mit reduziertem Tempo fahren? „Saftladen!“ Ein anderer bleibt wegen eines Vogels in der Oberleitung liegen? „Typisch Bahn!“

So sehr, wie mir Leute mit solchen Reaktionsmustern auf die Nerven gehen, kann mir die Bahn gar nicht zur Last fallen. Es sind Kinder in Erwachsenengestalt, deren Welt einen Meter unterhalb ihrer Wahrnehmung endet. Ich wüsste zu gern, was passiert, wenn sie zu spät zur Arbeit kommen, weil sie wieder mal im Stau standen. Brüllen sie dann auch „Saftfahrer!“ durchs Auto?

Ich bestreite gar nicht, dass es bei der Deutschen Bahn auch mal hapert. Und über ihr schlechtes Image braucht sie sich nach zehn Jahren Hartmut Mehdorn nicht zu beschweren. Aber: Im Jahr 2012 waren nach eigenen Angaben 94,6 Prozent aller Züge pünktlich. Das heißt: Jeder zwanzigste ist so eingetrudelt, dass Leute Anschlussverbindungen verpasst oder einen Termin gerissen haben. Da muss man wirklich nicht so tun, als sei jeder verspätete Zug der Beweis dafür, dass bei der Bahn der Teufel mit Schirmmütze an den Hebeln sitzt.

Man kann es auch halten wie wir neulich in einem ICE von Berlin nach Düsseldorf. Am Gleis erfuhren meine Mitreisenden und ich per Ansage, dass wegen eines Triebwerkschadens ein Zugteil ausfalle. Als wir uns im Abteil gegenseitig die Koffer in die Knie rammten, hieß es, dass auch die Reservierungen hinfällig seien. So landete ich an einem Vierertisch, an dem schallend gelacht wurde. Und zwar über alles. Am Ankunftsort traf ich eine halbe Stunde zu spät ein. Aber dafür hatte ich einen Tipp für eine Freisprecheinrichtung fürs Handy im Gepäck und ein Grinsen im Gesicht. Typisch Bahn, echt.

■ Hier wüten abwechselnd Kai Schächtele und Isabel Lott