Jugendpolitik: Das Netzwerk wird löchrig
Weil die Bezirke nicht mehr genug Geld haben, werden reihenweise Jugendeinrichtungen dichtgemacht oder an günstigere private Träger übergeben.
Die Feuerwache in Friedrichshain hat an diesem Abend ungewohnte Gäste. In dem Jugendclub in der Marchlewskistraße, in dem sonst Graffiti-Workshops und Gitarrenkurse stattfinden, drängen sich die MitarbeiterInnen mehrerer Jugendeinrichtungen, um mit Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos) zu diskutieren. Thema: der Haushaltsplan der nächsten beiden Jahre. Die PädagogInnen befürchten, dass ihre Einrichtungen demnächst geschlossen werden - wie es in einigen Bezirken schon geschehen ist.
Der Grund ist die knappe finanzielle Lage des verschuldeten Landes Berlin. Den Bezirken stehen deshalb weniger Mittel zur Verfügung; im Jugendbereich werden Stellen gestrichen und Einrichtungen zusammengelegt. Einige Bezirke wie Friedrichshain-Kreuzberg übertragen Jugendeinrichtungen an freie Träger, um so Personalkosten zu sparen. Die Mitglieder der Initiative "Widerstand Berlin" wehren sich dagegen - sie befürchten Qualitätseinbußen.
"Laut Berliner Kinderjugendhilfegesetz müssten 10 Prozent des Gesamtbudgets der Jugendhilfe für Jugendarbeit eingesetzt werden. Warum geschieht das nicht?", lautet eine der Fragen an diesem Abend an Nußbaum. Und: "Warum können Verträge mit den freien Trägern nicht über fünf Jahre abgeschlossen werden?" Die Verträge sind bislang an die Laufzeit des Berliner Haushaltes gebunden, laufen also nur über zwei Jahre.
Der Finanzsenator stellt klar, dass es für eine umfangreichere Unterstützung keinen Spielraum gebe. "Die Zuweisungen für die Kinder- und Jugendarbeit sind im Zeitraum von 2006 bis 2010 in Berlin um zirka 10 Millionen Euro gestiegen", rechnet er vor. Sie lägen jetzt bei 73,18 Millionen Euro jährlich. Damit müssten die Bezirke auskommen. Wie sie die Gelder aufteilten, sei Bezirkssache. Doch Nußbaum erklärt sich bereit, die Kritik der Anwesenden zu überprüfen.
Monika Herrmann, die ebenfalls anwesende Jugendbezirksstadträtin von Friedrichshain-Kreuzberg (Grüne), erklärt die Schwierigkeiten der Bezirke. So könne sie in ihrem Bezirk 2010/2011 nur etwa sieben Millionen für die Kinder- und Jugendhilfe ausgeben, weil die Zuweisungen einfach zu gering seien. "Das Kinder- und Jugendhilferecht (KJHG) ist das beste Gesetz, das wir in der Bundesrepublik haben", sagt sie. "Aber in Berlin regiert nicht das Gesetz, sondern die Finanzen."
Für einige Projekte kommt die Diskussion ohnehin zu spät. Der Acud Mädchenclub in Mitte zum Beispiel bot seit 1996 HipHop-Tanzkurse, Capoeira, Rap-Workshops, aber auch Hausaufgabenbetreuung und Beratung für Mädchen und junge Frauen an. Seit Januar wird er vom Bezirksamt nicht mehr gefördert. Denn in diesem Jahr stehen in Mitte 2,5 Millionen Euro weniger als zuvor für die Jugendarbeit zur Verfügung.
Trotzdem herrscht gute Stimmung im bunt bemalten Aufenthaltsraum des Clubs. An einem großen Tisch sitzen etwa 20 Mädchen zwischen zehn und achtzehn Jahren und verabschieden sich bei Raclette und Schokoladenfondue von ihren Betreuerinnen. Sozialpädagogin Heinke Castagne hat zu der Abschiedsfeier eingeladen. "In den letzten Wochen sah die Arbeit ganz anders aus, als ich es mir für die Berliner Jugendarbeit wünsche", sagt sie. Sie hat Kisten gepackt, Bücher verschenkt, Mitarbeiterinnen verabschiedet. Um die tut es ihr besonders leid, denn auch die Honorarkräfte stehen jetzt auf der Straße - ohne große Chance auf eine neue Beschäftigung. "Wir haben mit unserer feministisch ausgerichteten Arbeit Mädchen einen offenen Raum geboten", sagt Antonie Armbruster-Petersen, ehemalige Leiterin des Clubs. Im näheren Umfeld gebe es keine ähnlichen Projekte.
Genau diese Entwicklung befürchtet Ute Jokisch, Initiatorin von "Widerstand Berlin". Nur die freie Jugendarbeit könne die unterschiedlichen Bedürfnisse aller Jugendlichen decken, sagt die Pädagogin und Mutter. "Bildung hört nicht nach der Schule auf. Offene Jugendarbeit ist aktiver Kinderschutz", findet sie. Gerade in Bezirken mit geringer Einkommensstruktur seien Angebote wie eine kostenlose Hausaufgabenhilfe dringend notwendig. Die Vorgehensweise einiger Bezirke, Jugendarbeit in die Schulen einzugliedern, findet sie nicht überzeugend.
Für das Weinmeisterhaus war für 2010 genau das geplant. Die seit 1990 existierende Jugendeinrichtung in der Nähe des Hackeschen Marktes ist eine Institution in Mitte. Kinder und Jugendliche lernen hier Musikinstrumente, Theater und Fotografie, es gibt einen offenen Jugendbereich und kulturelle Angebote auch für Erwachsene. Das Haus befindet sich in einer der attraktivsten Gegenden Berlins und sollte zum Verkauf angeboten werden. Die Kurse und Projekte wollte man in die Schulsozialarbeit der umliegenden Schulen einbinden.
Mit diesen Plänen hat sich hier jedoch niemand abgefunden. "Seit zehn Jahren besuche ich dieses Haus. Musiktheater und Theater, Gitarre und Gesang, Zeichnen, Tanzen habe ich im Weinmeisterhaus gemacht", schrieb der 17-jährige Neil in einem Protestbrief. Wie eine junge Besucherin erzählt, haben die Kinder und Jugendlichen im Dezember die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) "gestürmt" und gegen die Schließung protestiert. Sie und ihre UnterstützerInnen haben einen Aufschub bis Ende Juni 2010 erreicht. Bis dahin muss das Haus ein neues Finanzierungskonzept vorlegen.
Laut der Leiterin Sybilla Fabian ist der einzige mögliche Weg die Kürzung von Stellen. Dann wäre die Fortführung der bisherigen Arbeit nicht möglich. Sowieso muss die BVV nachrechnen: Den Haushaltsentwurf hat sie im November abgelehnt - was dazu führte, dass das Bündnis von SPD und Linken in Mitte platzte.
Dabei klangen die Pressemitteilungen zur Verabschiedung des Doppelhaushaltes 2010/11 durch das Abgeordnetenhaus im Dezember 2009 zunächst so positiv: Der Bildungsetat steigt um 3 Prozent, der Wissenschaftsetat ebenfalls. Mit der Einführung der Sekundarschulen soll die Zusammenarbeit von Schulen und Jugendbildungsstätten unterstützt werden, an den Kitas werden neue ErzieherInnenstellen geschaffen.
Doch der freien Jugendarbeit nützt das wenig. Schon bisher erhielt sie in allen Bezirken weniger als 10 Prozent der Mittel für die Jugendhilfe. Dass Mitte jetzt 2,5 Millionen einsparen soll und Kreuzberg 2 Millionen, bedeutet das Ende der bisherigen Vielfalt. Und KritikerInnen halten die eingeschlagenen Sparwege für wenig sinnvoll. "Viele freie Träger machen tolle Arbeit", sagt Initiatorin Jokisch. "Aber der Bezirk kann nicht einfach seine Verantwortung abgeben." Sie befürchtet, dass einzelne freie Träger später viel leichter abzuwickeln sind. Außerdem hätten sie freie Hand bei der Wahl ihrer MitarbeiterInnen. Wer bis zu 20 Prozent weniger zahlen könne, werde auch weniger qualifiziertes Personal einstellen, glaubt Jokisch. Das zeige auch das Beispiel Lichtenberg: Dort wurde die Jugendarbeit bereits 2007 privatisiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was