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Jud Süß und die NibelungenfestspieleZum Sündenbock gemacht

Die Nibelungenfestspiele Worms luden zu einem Filmwochenende. Im Mittelpunkt stand die Instrumentalisierung des Josef Süßkind Oppenheimer als Jud Süß.

Auf dem Nibelungenfestspielen in Worms inszenierte Dieter Wedel die Geschichte des "Jud Süß". Bild: dpa

Josef Süßkind Oppenheimer, genannt Jud Süß, fiel 1738 in Stuttgart einem infamen Justizmord zum Opfer. Lange war dieser Skandal in meterlangen Aktenbeständen verborgen, bis Historiker den Finanzrat des Herzogs Karl Alexander rehabilitierten und ihn als intelligenten Staatsökonomen würdigten.

Die Unterschlagungen, die die protestantischen Patrizier des Kleinstaates dem "Hofjuden" ihres verhassten katholischen Herzogs unterstellten, waren von ihnen selbst begangen worden. Das offen antisemitische Gericht verstieß gegen württembergisches Verfassungsrecht, nicht Jud Süß, dem man einen Staatsstreich unterschieben wollte.

Jud Süß, der zum gefährlichen Fremden erklärte Sündenbock, war auch das Thema des Theaterstücks von Joshua Sobol, das im Sommer auf den Nibelungenfestspielen in Worms uraufgeführt wurde. Im nächsten Jahr wird diese Open-Air-Inszenierung von Dieter Wedel als work in progress wiederaufgenommen, und so bot die Interimszeit eine gute Gelegenheit, sich mit den Jud-Süß-Klischees unseres kollektiven Mediengedächtnisses auseinanderzusetzen.

Ein Filmprogramm zeigte Veit Harlans Propagandafilm "Jud Süß" sowie Oskar Röhlers Grotesk-Melodram "Jud Süß - Film ohne Gewissen", das den Jud-Süß-Darsteller Ferdinand Marian und seine Verstrickung in den Teufelspakt mit Goebbels in den Mittelpunkt rückt.

Der kultivierte Mann

Zusätzliche Facetten erhielt die Jud-Süß-Figur durch eine äußerst selten gezeigte Version: "Jew Süß", eine Adaption des "Jud Süß"-Romans von Lion Feuchtwanger, die der deutsche, hauptsächlich als Stummfilmregisseur arbeitende Lothar Mendes 1934 in Großbritannien drehte. Sieht man bei Mendes britischem Kammerspiel über die typischen Schwerfälligkeiten früher Tonfilme hinweg, ist die schillernde Ambiguität des Hauptdarstellers Conrad Veidt, der vor den Nazis ins Exil geflüchtet war, ein intensives Kinoerlebnis.

Sein Jud Süß ist das Inbild des zivilisierten kultivierten Mannes, der die Frauen stärker anzuziehen vermag als die Gegenfigur des Herzogs, ein schlachterprobter Soldat und notorischer Vergewaltiger. Vor allem hebt Mendes Film Lion Feuchtwangers Kritik an der Idee jüdisch-deutscher Akkulturation ins Zentrum. Conrad Veidts Jud Süß verfällt dem Versprechen der Macht und wird selbst schuldig, indem er dem brutalen Herzog als Kuppler dient.

Als die modernste, auf dem aktuellen Forschungsstand basierende Interpretation überraschte ein 1983 entstandenes Fernsehspiel von Rainer Wolffhardt. Er zeigt einen ganz anderen württembergischen Fürsten, dem Manfred Krug die handfeste Ausstrahlung eines Alphatiers beimischt. Jörg Pleva als Jud Süß, der Freund an seiner Seite, verkörpert die klaren Strategien des intelligenten Aufsteigers und modernen Manufakturökonomen überzeugend.

Der sich auf Reisen in seine Territorien verausgabende Fürst geht mit Süß eine enge Männerfreundschaft ein, die das Ziel, die Kassen des Herzogs zu füllen und die Pfründen der Patrizierfamilien zu mindern, nüchtern verfolgt. Wolffhardts "Jud Süß" bringt den ökonomischen Hintergrund des historischen Justizskandals schlüssig zum Ausdruck.

Kuppler in Diensten des Herzogs

Harlans 1940 unmittelbar vor Beginn der systematischen Judenmorde in Auftrag gegebener Film bezieht seine perfide Suggestionskraft aus der sexualisierten Zurichtung der Figur. Süß ist ein Kuppler in Diensten des Herzogs, der Juwelenlieferant für die dem Luxus verfallenen Hofdamen und schließlich der Vergewaltiger eines unschuldigen Bürgermädchens.

Der Intrigant nutzt die erlangten Steuerprivilegien dazu, "das Volk" (Synonym für die "Blutgemeinschaft" der Nazi-Propaganda) von jüdischen Steuereintreibern (allesamt von Werner Krauss als infame Hassprojektionen verkörpert) drangsalieren zu lassen. Seine Bestrafung wird am Ende explizit zum Fanal, die patriarchale Ordnung mit seiner Auslöschung wiederherzustellen.

Oskar Röhlers Melodram über Ferdinand Marians Verstrickung in Harlans Film ist im direkten Vergleich zu "Jud Süß" den zweiten Blick allemal wert, dreht er doch den Diskurs um tabuisierte Triebenergien in den operettenhaften Passagen seines Films um. Hier ist es eine Frau, die sich sexuelle Macht nimmt: Die Frau eines KZ-Kommandanten (Gudrun Landgrebe) nimmt sich Marian, den Filmstar, weil sie in ihm auch den Juden begehrt.

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2 Kommentare

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  • TH
    Thomas Henne

    Harlans antisemtisches Melodram "Jud Süß" ist nicht verboten. Die Auführung des Films verstößt heutzutage nicht mehr gegen ein Strafgesetz.

     

    Die geringe Anzahl von Vorführungen des Films in Kinos beruht darauf, daß die Murnau-Stiftung als Inhaberin des Urheberrechts an dem Film die Aufführung nur unter bestimmten Auflagen gestattet. Dadurch entsteht allerdings kein "verbotener Film".

     

    Wie hoch die Verführungs- und Suggestionskraft dieses nunmehr 70 Jahre alten Schwarz-Weiß-Films ist, muß jeder selbst beurteilen.

  • I
    Ingo

    Echt affig, dass der Film immernoch verboten ist.

    Man mutiert doch nicht zum NAZI, wenn man den Original-Film

    schaut.

     

    Armes Zensurland.