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Josephine MeckseperDer große Kunstrabatt

Kommentar von Marcus Woeller

Verstrickt in die Zeichensysteme moderner Kunst: Für Josephine Meckseper wird das Kunstmuseum Stuttgart zum Schaufenster, das ihre raffinierte Kunst des politischen Sommerschlussverkaufs zeigt

Die Kunst der Warenkritikerin Meckseper ist selbst zur heiss gehandelten Ware geworden Bild: dpa

W er bei Hasen zuallererst an Joseph Beuys denkt statt an einen Festtagsbraten oder ein Kuscheltier mit niedlichen Schlappohren, der ist verstrickt. Verstrickt in die Zeichensysteme moderner Kunst, verstrickt in die eigene kulturelle Bildung, verstrickt in die Interpretation visueller Bezüge. Josephine Meckseper stellt in ihrem Werk diese Verstrickungen dar.

Die neuere Kunstgeschichte zitiert sie dabei immer wieder. Aus Duchamps Ready-Made eines Gestells zum Flaschentrocknen wird bei Meckseper ein Rondell mit Gesundheitsschuhen. An Joseph Kosuths "One and Three"-Gegenüberstellungen erinnert die Kombination einer Krawatte, der Kopie eines Bucheinbands von Jean Baudrillard und eines Paars ausgelatschter Birkenstock-Sandalen. Der kürzlich verstorbene französische Philosoph fungiert sozusagen als Pate der Ausstellung. Seine Theorie vom Simulacrum, der Scheinwelt, schwebt über der Ausstellung, ist aber selbst auch nur eine von vielen Referenzen im Kosmos von Josephine Meckseper.

Wie eben auch Beuys. Wenngleich Mecksepers Hasen meistens Kaninchen sind, drängt sich diese Assoziation auf. Denn sie teilt mit ihm auch ihre bevorzugte Präsentationsform der Installation, die Vitrine. Meckseper ist die Schauwerbegestalterin der zeitgenössischen Kunstszene. Auch sie hantiert mit der Symbolik des Materials, nur dass sie auf Fett und Filz verzichtet. Sie dekoriert blitzblanke Schaufenster mit Fotografien, Skulpturen und gekauften Objekten, arrangiert Tableaus von Konsumgegenständen in verspiegelten Glaskästen und auf hochglanzpolierten Regalborden.

Für ihre erste große Einzelausstellung in Deutschland hat sie das geeignete Haus gefunden. Selbst eine große Vitrine dominiert das vor zwei Jahren als markanter Glaskubus neu gebaute Kunstmuseum Stuttgart den Ort, wo staatliche Repräsentation, bürgerliche Kultur und Kapitalismus aufeinandertreffen: am Kleinen Schlossplatz, direkt an der Einkaufsmeile Königstraße gelegen. Auch der Zeitpunkt ist gut gewählt. Der Sommerschlussverkauf hat gerade begonnen, alle Geschäfte werben mit "Sale". Doch das größte Prozentzeichen prangt auf der spiegelnden Fassade des Museums.

Denn "Sale" ist eines der immer wiederkehrenden Details im Zeichenrepertoire von Meckseper. Doch was da in den Vitrinen steht, scheint nicht recht zusammenzupassen. In "The Complete History of Contemporary Art" von 2005 rotiert das notorische Nagetier auf einem Drehtablett. Die rechte Hasenpfote resolut in die Hüfte gestützt, hält es in der linken ein kleines Schild hoch. Darauf steht auf der einen Seite "oui" und auf der anderen "non". Ein französischer Hase, der für Sowohl-als-auch demonstriert? Oder eine Paraphrase auf das schöne deutsche "Jein"? Weiter versammeln sich in der Vitrine ein antiquarisches Büchlein, eine pornografische Anzeige, ein karierter Overknee-Strumpf auf dem Bein einer Schaufensterpuppe, eine Saugglocke für den Abfluss und für die Säuberung etwaiger Rückstände eine noch eingeschweißte Klobürste. Darüber zwei verkehrt herum hängende Modeanzeigen und daneben ein Sortiment von Parfümflakons mit dem verführerischen Titel "ne travaillez jamais" (nie mehr arbeiten). Auf alles gibt es wohl Rabatt, steht doch ein kleines Prozentzeichen in der Vitrine.

Politik & Glamour

In einem nächsten Schaukasten hat Meckseper dem Hasen (oder ist es Beuys?) das Fell über die Ohren gezogen. Auf dem Pelz steht nun das aufgespießte Gesäß einer Schaufensterpuppe. Saugglocke und Klobürste gesellen sich zu einer kitschigen Brosche. Am Fenster klebt die Mitteilung "help wanted". Irritiert noch die kleine Karte, die unter dem Fell hervorlugt: "all items are made by female inmates". Haben die Gegenstände wirklich weibliche Häftlinge gemacht?

Meckseper wurde 1964 in Lilienthal unweit des Künstlerdorfs der Expressionisten Worpswede geboren. Nach einem Studium an der Hochschule der Künste in Berlin ging sie in die Vereinigten Staaten von Amerika, studierte dort zuerst weiter am California Institute of the Arts, lebt aber nun seit fünfzehn Jahren in New York City. Erste Bekanntheit errang sie mit dem Kleinserie aufgelegten FAT Magazine. In vier Ausgaben vereinte sie Boulevard, Satire, Politik, Glamour, Pin-up-Erotik und Künstlertexte zu einer Zeitschrift, die zwischen Ernsthaftigkeit, Ironie und beißendem Spott changiert. Dann wendete sie sich der Protestikonografie zu. In nachbearbeiteten Fotografien und Filmen dokumentierte sie politische Demonstrationen der letzten Jahre. Stilistisch erinnern sie jedoch an historische Proteste wie die Vietnamkriegsbewegung.

In den vergangenen Jahren findet sie ihre Inspirationen hauptsächlich in der Warenwelt. Konsum bedeuten für Meckseper jedoch nicht nur der Kauf und Verbrauch von materiellen Gütern, sondern insbesondere die Benutzung und Inkorporierung von Zeichen, der Ausverkauf von Ideologien. So taucht in ihren Arbeiten immer wieder das Palästinensertuch auf. Ursprünglich nur eine traditionelle arabische Kopfbedeckung, wurde sie spätestens durch Jassir Arafat und seine palästinensische Befreiungsorganisation PLO zum politischen Symbol. Als mehr oder minder diffuses Sympathiebekenntnis wurde es dann auch in Europa zu einem modischen Accessoire - seit einiger Zeit nicht mehr nur in der linken Szene, sondern vermehrt auch unter Neonazis als antijüdisches Symbol. Inzwischen ist das typische Webmuster der Kefije in den Zitatenschatz der Bekleidungsindustrie eingegangen, und jeder kann es tragen, ob man nun Palästinenser, links, rechts oder einfach nur Fashion-Victim ist.

Kulturelle Inhalte sind nur noch als Spuren vorhanden, und diese nimmt die Poststrukturalistin Meckseper gerne wieder auf und sampelt sie in neue, aber auch alte Zusammenhänge. Sie vernäht Streifen von Palästinensertüchern mit anderen gemusterten Stoffen und Blue Denim zu Flickenvorlegern, die auf ihren Einsatz als Gebetsteppiche oder Fliegende Teppiche zu warten scheinen. So schließen sich die Kreise.

Typisches Webmuster

In einer Installation legt sie einem weiblichen Schaufensterpuppenoberkörper den Palischal um, außerdem die Kapuze eines Bundeswehrparkas und eine Kette mit einem goldenen Anhänger in Form eines Hanfblattes. Dahinter hängt ein abstraktes Bild im Stil der russischen Konstruktivisten, auch hier ist ein Kefije-Streifen eingeklebt. Dazu kommt noch ein Plakat, das auf die britische Stadtguerilla "Angry Brigade" der 1960er-Jahre hinweist, die wiederum vom künstlerischen Situationismus beeinflusst war. Meckseper weist dem Betrachter die Aufgabe zu, Bezüge herzustellen und Kontexte zu entwickeln, ob sie nun in die richtige Richtung gehen oder nicht.

Das persönliche Wissen spielt dabei eine entscheidende Rolle. Wie mag wohl das amerikanische Publikum eine Arbeit Mecksepers deuten? Da hängen in einem Glaskasten verschiedene Ketten mit vergoldeten Anhängern, ein christliches Kreuz, ein muslimischer Halbmond, wieder das Kifferabzeichen, doch dazu auch zwei Kettchen, an denen die Buchstabenkombinationen CDU und CSU baumeln.

Josephine Meckseper operiert auf einem gefährlichen Feld. Zurzeit wird sie als linke Heldin der Konsumkritik gefeiert. Andere lassen sich von ihrer Salonkommunistinnenattitüde provozieren und trauen ihr nicht. Sie distanziere sich zu wenig von ihren schicken Oberflächen. In Interviews gibt sie sich spröde, streng und kompromisslos. Auf Porträts trägt sie modische Kleidung und Markenschuhe. Doch Kapitalismuskritik darf in unserer Gesellschaft nur üben, wer selbst in Lumpen gekleidet ist. Dabei bringt Meckseper lediglich zum Ausdruck, dass man nicht aus der Konsumfalle herauskommt. Sie so wenig wie andere. Es ist schwierig genug, Waren zu konsumieren, wenn gleichzeitig so verschiedene Kriterien wie Kosten, Geschmack, Nutzen und inzwischen auch Faktoren wie Ökobilanz und Produktionsverhältnisse koordiniert werden müssen. Noch schwieriger der kontrollierte Konsum von freien Gütern, also Gedanken, Meinungen, Einstellungen. Da mag Meckseper sich manchmal selbst auf den Leim gehen. Trotzdem gibt sie uns die Möglichkeit, die bekannten Strukturen aufs Neue zu überprüfen.

Es wird interessant, zu verfolgen, wie Josephine Meckseper mit ihrer eigenen Rolle als Konsumobjekt klarkommen wird. Die große Museumsausstellung kurbelt auf jeden Fall ihre Konjunktur an. Das Kunstmuseum besitzt bereits einige Werke Mecksepers in der Sammlung und hat nun auch eine Serie von Spiegel-Bildern angekauft. Mit der Schau und der erheblichen Medienpräsenz treibt es jetzt unwillkürlich auch die Verkaufspreise in die Höhe. Für ein öffentliches Haus wird eine "Meckseper" dann schnell unerschwinglich werden. Vermögende Privatsammler wird es vermutlich nicht stören, sich ein Werk einer Künstlerin zu kaufen, die den Materialismus geißelt. Meckseper auch nicht - darin kann man einen Hauch von Subversion spüren.

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