Josef-Otto Freudenreich : Der kühle Blick
Was macht eigentlich Sebastian Turner? Niemand spricht mehr über Brezeln. Stattdessen seitenlange Arien über Wolfgang Schuster. Als gelte es, eine historische Figur zu verabschieden. Das ist ungerecht. Jetzt warten wir auf den Hype um Fritz Kuhn.
Historisch, historisch – Fritz Kuhn brummt vor sich hin und wartet auf den Wolfgang-Schuster-Platz. Oder mindestens eine Straße. Was für ein Gedöns. Ein Oberbürgermeister ist für ihn ein Oberbürgermeister und kein Kanzler. Also immer schön den Ball flach halten. Und bitte nicht zu viel Gefühl.
Der coole Kuhn will eigentlich gar nichts sagen. Nicht vor seinem Amtsantritt am 7. Januar. So lange wundert er sich nur im Stillen. Über die verqueren Versuche, Denkmale zu bauen, für die es keinen Sockel gibt. Über den quälenden Abschiedsschmerz, der den 16-Jahre-OB Schuster befallen hat, weil er noch so gerne weitergemacht hätte. Endlich geliebt vom Volke, das ihm die Zuneigung versagt und, ganz schlimm, das Weindorf vermiest hat. 16 Stunden am Tag im Dienste der Bürger, sieben Tage die Woche, und dann keine Dankbarkeit. Nur die Ehrenbürgerwürde. Das ist der Welt Lohn. So tickt Kuhn nicht.
Bei seinem letzten Gespräch mit Schuster, kurz vor Weihnachten, hat ihm der Christdemokrat ein Buch überreicht. Sauber in Plastik verschweißt. Als Vermächtnis sozusagen. Es trägt den Titel „Nachhaltige Städte – Lebensräume der Zukunft“ (Oekom Verlag 2012), den Autor Schuster auf dem Cover und zeichnet Stuttgart auf dem Weg ins regenbogenfarbene Licht, in dem Kinder und Migranten im Schlossgarten tanzen. Der Grüne hat brav gelesen und sich danach die Stuttgarter CO2-Grenzwerte angeguckt und festgestellt, dass Propaganda und Realität bisweilen nicht deckungsgleich sind. Schwarz versucht grün ökologisch links zu überholen. Schulterzucken. Das ist der kühle Blick.
Nur: das wird nicht reichen. Schon gar nicht beim Ober-Emo-Thema Stuttgart 21. Seine Analyse ist stimmig: Die Bahn hat ihre Glaubwürdigkeit verspielt, die Volksabstimmung taugt nicht mehr als Totschlagargument, die Befürworter wackeln in allen Fraktionen, aber noch hält sich die parlamentarische Pro-Mehrheit in Stadt und Land und die SPD als Fall für den Therapeuten. Doch die Frage wird sein: Was folgt für den neuen OB Kuhn daraus? Welche Position wird er beziehen? Riskiert er den Streit mit seinem Parteifreund Kretschmann und dem Sozi-Duo Schmiedel/Schmid oder taktiert er im Gleichschritt mit der grünen Regierungstruppe?
Am 7. Januar, wenn Kuhn im Rathaus antritt, wissen wir mehr. Er verspricht Klartext zu reden, zu sagen, was die Stadt bei S 21 im nächsten halben Jahr zu tun gedenke. Das sei entscheidend. Ein Brausen im Blätterwald wird ihm deshalb gewiss sein. Der kühle Blick der Gegner ebenso.