Josef-Otto Freudenreich : Kontext wird 2
Wer keinen Hund hat und trotzdem in aller Herrgottsfrüh Gassi gehen will, der sollte ein Projekt wie Kontext gründen. Er/sie schläft garantiert schlecht, kurz und gebeutelt von der Sorge, dass alles schiefgehen wird. Das treibt einen auf die Straße, um den Block, immer in der Hoffnung, der Puls möge sich beruhigen. Manchmal hat Baldrian geholfen.
Denn: Wer ist schon so bescheuert, im Internet eine Wochenzeitung machen zu wollen, mit langen Texten und ohne Single-Börsen? Es kann nur jemand sein, der besoffen ist von der Idee, dass es irgendwie klappen würde. Ohne Verleger, ohne Chefredakteur und ohne Anzeigen.
„Avanti dilettanti“ titelte im Juni 2011 die Berliner Zeitung und hatte ja so recht. Wie man Geschichten schreibt, wussten wir. Dieses Handwerk haben alle gelernt. Die meisten im Stuttgarter Pressehaus. Aber wie gründet man eine Zeitung? Das steht in keinem Lehrbuch.
Und wie bezahlt man eine Zeitung? Am besten mit Jakob Augstein, dem Spiegel-Erben, der mit Kontext liebäugelte, weil es ihm als Bühne für das grün-rote Labor Baden-Württemberg dünkte. Kontext in seinem Freitag, das hätte er gut gefunden, aber dann auch wieder nicht mehr. Realistischer waren der Gehaltsverzicht und die Mäzene Hanne und Andreas Schairer, die an die Journalisten glaubten, obwohl die weder rechnen noch verlegen konnten.
Und wie machen Journalisten eine Internet-Zeitung, die gerade mal kapiert haben, was Google ist? Am besten zusammen mit der taz, die netterweise angeboten hat, zu drucken. Wahrscheinlich haben die Berliner Freunde gedacht, wir würden die Geschichte mit dem Netz nie auf die Reihe kriegen.
Und heute? Heute sagt der taz-Geschäftsführer Karl-Heinz („Kalle“) Ruch, die gedruckte Zeitung könne man sich über kurz oder lang in die Haare schmieren, wenn das so weitergehe mit den sinkenden Auflagen. Selbstverständlich sind wir anderer Meinung, aber so ganz trauen wir dem Bedrucken toter Bäume auch nicht mehr, was uns bewogen hat, den Netzauftritt etwas zeitgemäßer zu gestalten.
So sind zwei Jahre vergangen, in denen wir aus dem Staunen nicht herausgekommen sind. Entnervte Kollegen, empörte Parkschützer, erregte Pressesprecher, endliche Fahnenstangen. Anfang 2012 war Kontext eigentlich tot. Ein Modell schien frühzeitig gescheitert, unvereinbar mit den Gesetzen des Marktes. Spendenfinanzierter Journalismus – eine idealistische Illusion. Selbst verwalteter Journalismus – eine altlinkes Trümmerstück. Unabhängiger Journalismus – eine wohlfeile Schimäre.
Da kommt der Mensch ins Grübeln. Ist es vielleicht doch nur Spinnerei? Aber dann sitzen wieder die Kollegen anderer Zeitungen auf dem Sofa und fragen, wann sie bei Kontext anfangen können. Ist es Größenwahn, zu glauben, gegen das Medienkartell anstinken zu können? Aber dann sagen Fachleute, das bisher einmalige Experiment in Deutschland sei ganz wichtig, um einen dritten Weg zwischen Kommerzmedien und öffentlich-rechtlichem System aufzuzeigen.
Heute schreiben uns viele Leser, sie freuten sich auf den Mittwoch (im Netz), auf den Samstag (im Druck), weil sie neugierig sind, Dinge zu erfahren, die ihnen sonst verborgen blieben. Weil sie des Immergleichen müde sind, weil sie Geschichten erwarten, die aufklären, kommentieren und zum Lachen sind. Mit dem Rückenwind unserer Leser werden es noch mehr.