■ John Smith' Abnabelungsversuch von den Gewerkschaften: Das Ende einer Ära?
John Smith, dem Chef der britischen Labour Party, ist am Mittwoch ein Salto mortale gelungen, während er mit beiden Beinen auf dem Boden stand. Er machte den Delegierten weis, daß „Omov“ – „Ein Mitglied, eine Stimme“ (One member, one vote) – keineswegs das Ende einer Ära sei. Sie glaubten ihm und stimmten für das Ende des Blockstimmrechts der Gewerkschaften bei der Auswahl der Unterhaus-KandidatInnen – und damit für das Ende einer Ära, die in Großbritannien länger als in anderen europäischen Ländern Bestand hatte. Smith, der als graue Maus gilt, ist aus der Abstimmung gestärkt hervorgegangen.
Ob das gleiche für die Labour Party gilt, muß bezweifelt werden. Das widersprüchliche Abstimmungsverhalten – auch der Gewerkschaftsantrag auf Erhöhung ihres Einflusses auf die Auswahl der Labour-KandidatInnen wurde angenommen – wird der Partei noch viel Kopfzerbrechen bereiten. Das Risiko einer Spaltung der Partei hätte sich jedoch nur gelohnt, wenn Smith dadurch seinem Ziel, Labour wählbar zu machen, einen Schritt näher gekommen wäre. Dann hätte er seiner Ideologie jedoch treu bleiben und die Anti-Gewerkschaftstaktik bis zum Ende durchhalten müssen. Statt dessen wollte er sich nach allen Seiten absichern.
Er ließ sich von den Torys, die schon immer die Gewerkschaftsnähe der Labour Party dazu benutzt hatten, bei den WählerInnen Angst und Schrecken vor einem Gewerkschaftsstaat zu verbreiten, das Thema des Parteitags vorschreiben: Er wollte beweisen, daß Labour sich von den Gewerkschaften abgenabelt habe. Doch denen garantierte er gleichzeitig, daß sie mit ihrem Blockstimmrecht auf unabsehbare Zeit die politische Richtung und die Wahl des Parteichefs beeinflussen können. Außerdem betonte Smith um des Parteifriedens willen, daß „Omov“ die Macht der Gewerkschaften verstärke. Das freut die Torys, die das Thema auf ihrem eigenen Parteitag in der nächsten Woche gerne aufgreifen werden.
So wird die liberale Mittelschicht, auf die Smith' Taktik abzielt, Labour weiterhin argwöhnisch beobachten. Die Linke haben Smith und sein Vorgänger Neil Kinnock ohnehin längst verprellt, nachdem man den trotzkistischen Flügel aus der Partei geworfen und sich in ökonomischen und ökologischen Fragen den Torys immer mehr angenähert hat. Auch dieser Parteitag glänzte vor allem durch den Mangel an kontroversen Debatten. Die Labour-Parteitage sind in dieser Hinsicht längst zu Wahlveranstaltungen verkommen. So ist es mehr als nur ein Symbol, daß mit dem großen Tony Benn, der am Montag nach 37 Jahren seinen Sitz verlor, auch der letzte Linke aus dem Parteivorstand verschwunden ist. Ralf Sotscheck
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