■ John Major fehlte auf dem Parteitag der Durchblick: Zwischen Rottweilern und Buhrufern
Der britische Premierminister John Major verlor am Dienstag mehrmals die Orientierung. Auf wessen verdammtem Parteitag war er bloß gelandet? Es fing bereits am frühen Morgen an: Eine rothaarige Frau forderte die Delegierten auf, einen Teil der Beute aus dem Verkauf von Sozialbauwohnungen für den Bau neuer Häuser auszugeben. Waren die Torys jetzt vollends durchgedreht, fragte sich der verwirrte Premierminister. Sein Parteivorsitzender Norman Fowler klärte ihn dann aber auf, daß es sich bei der Rothaarigen um die Labour-Bürgermeisterin Gill Sweeting handelte, die den Auftrag ihres Vorsitzenden John Smith offenbar ernst nahm: „Majorwatch“ heißt der neue Eckpfeiler der Labour-Politik — alle Augen auf den Regierungschef. Sweeting hieß die Tory-Delegierten in Brighton willkommen — „leider nicht als Oppositionspartei, wie ich ursprünglich gehofft hatte“. Wo blieben bloß die Buhrufe, fragte sich der verunsicherte Major schon wieder.
Endlich schien sich der Parteitag zu besinnen: „Norman, Norman“, schallte es durch den Saal. Es dauerte eine Weile, bis es Major dämmerte, daß damit nicht Fowler wegen dessen Entlarvung der Rothaarigen bejubelt wurde, sondern der neuadlige Rottweiler Lord Norman Tebbit, bei dem das Schnappen nach dem Premierminister bereits zum Reflex geworden ist. Ein Lob von Tebbit, der sich mit einem grauen Anzug getarnt hatte, ist wie ein Dolchstoß. Major schickte seinen Außenminister Douglas Hurd ins Rennen. Dessen Anzug war um eine Schattierung grauer — fast wirkte er wie der Regierungschef. Zu Majors Bestürzung geriet der Saal nun völlig aus dem Häuschen: „Schwachsinn“, „Unfug“ und sogar „Scheiße“ tönte es von den Hinterbänken. Das hatte es seit der Rhodesien-Debatte auf einem Tory-Parteitag nicht mehr gegeben. Damals zerstritten sich die Konservativen so arg, daß sie zehn Jahre in der Versenkung verschwanden.
Doch Major brauchte diesmal keine Angst zu haben: Seine wahren Freunde hatten bereits letzte Woche in Blackpool getagt. Die Labour Party hat mit ihren Dissidenten aufgeräumt und sich einig für die Politik John Majors ausgesprochen. Wer braucht auch Feinde — bei diesen Freunden. Ralf Sotscheck
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