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Archiv-Artikel

John Cage is waiting

Klangkunst als vergnügter Gast: Ob Pop, Trash, Video, meditative Askese oder das Rauschen der Stadt, die Berliner Klangkunstausstellung „Sonambiente“ tummelt sich in vielen Kontexten

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Das Fotohandy kommt voll zum Einsatz. Erst wird die rote Currywurstbude, die einen prominenten Platz mit Blick auf den Abbruch des Palastes der Republik erhalten hat, von einem Passanten fotografiert, dann spricht er in sein Handy: „Du glaubst es nicht, das ist Kunst.“ Die Kunst, Teil des Klangkunstfestivals Sonambiente in Berlin, spricht derweil zu ihm und mir und jedem, der sich vor der mit Plexiglas verschlossenen Theke bewegt. Eine Stimme erzählt, wie das war, früher mit dem Imbiss im Osten, mit der Versorgung der Bauarbeiter. Man starrt auf Ketchup und Honecker-Fotos hinter der Scheibe und der Krach von den Abrissarbeiten am Palast legt sich über die Tonspur.

Die Kunst dem Zufallspublikum mal eben so in den Weg rollen, das klappt in der Arbeit von Georg Klein und Steffi Weismann ganz gut und gehört zum Konzept des Sonambiente-Parcours zwischen Kurfürstendamm und Ostbahnhof: kleine Stationen im öffentlichen Raum als Teaser, große Flächen in leer stehenden Bürogebäuden (der Sponsoren) und in den alten und neuen Häusern der Akademie der Künste, des Hauptveranstalters. Allein, tief in die Geschichte der Stadt reicht diese akustische Bespielung nicht. Weil Sonambiente aber auf ein Vorgängerprojekt zurückblicken kann, das 1996 historisch und architektonisch interessante Orte im Ostteil der Stadt erschloss, verzeiht man die etwas abgenutzte Geste.

Ortswechsel, Stimmungswechsel: Wer die Akademie der Künste im Hansa-Viertel betritt, weiß, dass es sich bei jedem noch so lapidar wirkenden Ding wahrscheinlich um Kunst handelt. Das Spiel mit dem Understatement, der bewusste Verzicht auf probate Mittel im Kampf um Aufmerksamkeit, gehört zu den frühen Tugenden der Klangkunst. Im idyllischen Hof der Akademie hat Alvin Curran für einen ihrer Pioniere, den Komponisten John Cage, ein wunderbar schlichtes Gedächtnishüttchen aufgestellt „Gardening with John“. Man sitzt geschützt und hört die leise plätschernden Fontänen im Hof in den langen Pausen von Currans Klangcollage. Die Klänge verändern den Maßstab der Wahrnehmung und drängen ins Weite und Weltumspannende: Zwischen Chorstimmen, die sich langsam zu Flächen ausbreiten, und lang gezogenen tierischen Lauten fühlt man sich irgendwann in eine Sphäre der Geister versetzt.

Irgendwann, … das ist der springende Punkt, der die oft visuelle Bescheidenheit der Installationen unterläuft, denn von der Zeit der Kunstnutzer beanspruchen nicht wenige Werke gewaltige Strecken. Auch darin stehen sie quer zu alltäglicher Ökonomie und Effizienztraining: Donatella Landis „Plan de poche“, eine akustische Spur von Fahrten mit der Pariser Metro, umfasst 18 CDs, 20 Stunden Reisen durch die Tunnelröhren der Stadt. Man steht davor, hört kurz hinein und denkt: So ist das eben, die Welt breitet sich vor mir aus, aber mehr als einen Zipfel bekommt man nicht zu fassen.

Klangkunst neigt zur Legendenbildung. Die Entstehungsgeschichten der Werke beginnen nicht selten mit weit zurückliegenden Begegnungen zwischen Künstlern der Klangkunstgemeinde. Dass sie als Gattung den Ruch des Esoterischen und Akademischen auch nach einem halben Jahrhundert nicht ganz losgeworden ist, liegt aber nicht nur daran, sondern auch am Gestus vieler Werke: Reinigungsrituale gegen akustische Zumutungen des Alltags. Zum Beispiel die weißen Schallplatten von Dave Allen, Negativabgüsse von Platten, die die Musik rückwärts spielen lassen. Das ist nicht zu hören, das bekommt man nur erklärt und stellt es sich vor. Wichtig aber ist die Information, was denn so dem Hören entzogen wird: zum Beispiel das Weiße Album der Beatles.

Hörfreudiger geht Candice Breitz in „Legend (A Portrait of Bob Marley)“ mit der Musik um, eine wunderbare Videoarbeit darüber, wie ein Musiker in seinen Fans weiterlebt und eine ungreifbare Verbindung zwischen ihnen schafft. Auf 5 mal 6 Monitoren sieht und hört man Jamaicaner seine Songs singen und summen, jeder allein in einem Studio aufgenommen und erst im Abspiel zu einem Chor werdend, der mit winzigen dissonanten Verschiebungen eine ganz besondere Spannung im Verhältnis Individuum und Gruppe erzeugt.

Natürlich könnte „Legend“ ebenso wie viele andere Werke von Sonambiente auch in einem anderen Kontext zeitgenössischer Kunst aufgeführt werden. Das Label Klangkunst will sich ja auch gar nicht abgrenzen, sondern ist froh über jede Brücke, die etwa die Kontexte Pop oder Stadt oder die Geschichte des Musikgebrauchs ihr bieten.

Dem Plattenhören als sozusagen privat-dramatische Veranstaltung ist die „Opera for a small room“ von Janet Cardiff und George Bures Miller gewidmet: ein unterhaltsames, aufwändiges und mechanisches Spektakel voll kinoverliebter Schauerromantik. Man steht vor einem Container aus Holz und blickt durch Fenster und Türen in eine mit Lautsprechern, Radios und Platten bis zum Anschlag vollgestopfte Bude und hört die schleppende Stimme eines Mannes, den man sich anders als alt, unrasiert und mit gebrochenen Herzen vorstellen kann, Liedzeilen vom Verlust wiederholen. Währenddessen taumelt die Musikcollage aus Oper, Rock und Gewitter von einem dramatischen Höhepunkt zum nächsten, den Raum gewissermaßen genüsslich mit Schmerzen füllend. Masturbation für die Ohren.

Und? Was folgt daraus nach einmal sechs (mit Stau) und einmal drei Stunden Herumtreiben auf dem Sonambiente-Parcours? Man findet für jede Aussage über Klangkunst auch einen Beleg für das Gegenteil. Also besser wegkonsumieren als theoretisieren.

Sonambiente 2006, Festival für Sehen und Hören, bis 16. Juli in Berlin, www.sonambiente.net