Johanna Billing-Retrospektive: Ein Meer voller Zeichen
Vom Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft: Die Werkschau der schwedischen Videokünstlerin und Musikerin Johanna Billing im Kunstmuseum Basel.
Das Meer voller Zeichen ist in diesem Fall der Firth of Forth. Dort, wo sich die Nordsee neugierig gen Edinburgh schiebt, vorbei an den Brücken, den Arbeitersiedlungen, den Hafenkränen. Dabei waren es eigentlich die Menschen, die sich mit ihren Brücken, Arbeitersiedlungen und Hafenkränen nahe ans Wasser geschoben hatten. Ans Ufer des Firth of Forth, wo sich die Nordsee zu einem ziemlich breiten Fluss verjüngt.
Später haben die Menschen das Wasser vergessen. Johanna Billing hat es ihnen wieder gezeigt. Davon erzählt ihre Videoarbeit "This is how we walk on the moon", mit der die Schwedin in diesem Jahr bereits auf der documenta in Kassel zu sehen war. Sie erzählt von zaghaften, tastenden Schritten. Von einer Handvoll junger Menschen, die zum ersten Mal in ihrem Leben zu einem Segeltörn aufgebrochen sind. Die Leinen lösen, Segel setzen und festen Grund verlieren. In lakonischen, digitalen Bildern filmt Johanna Billing Gesichter voll schüchterner Unsicherheit und lustvoller Zuversicht. Filmt die Eisenbahnbrücken und die stillgelegten Werften am Ufer, in denen ein paar Boote festgewachsen daliegen. Menschen am Sonntag, eine Landschaft im Sonnenuntergang der industriellen Epoche. Nichts Besonderes eigentlich.
Und doch passieren zwei Dinge. Zunächst heißt das, die Besucher bleiben bei den Bildern. 27 Minuten ist die Videoschleife lang und die meisten stehen erst wieder auf, wenn sie eine bekannte Szene wiedergefunden haben. Das war schon in Kassel so. Und so ist es jetzt im Kunstmuseum Basel, wo der gerade einmal 34-jährigen Künstlerin eine retrospektive Werkschau gewidmet ist. "Forever Changes" hat Billing ihre Ausstellung genannt, nach einem Album der afroamerikanischen Band Love.
Zum anderen bedeutet das, dass sich die Bilder zu komplexen Erzählungen weiten. Da ist die Landschaft, zurückgelassen von einer verschwundenen Ära, verrostet, überwuchert, verstellt. Da sind die Menschen, die ganz unverstellt an eine neue Aufgabe herangehen, die sich als Gruppe erfahren, wie Billings Arbeiten überhaupt von Gruppenerfahrungen, von Kollektiven und vom Kollektiven, erzählen. Und da ist die Musik. Ein Lied von Arthur Russel in diesem Fall. New Yorker Avantgarde-Pop der frühen Achtzigerjahre, von Johanna Billing zart arrangiert und gemeinsam mit Freunden eingespielt. "This is how we walk on the moon", heißen Song wie Videoinstallation. Die ersten Segelversuche, die vergessene Industrielandschaft, Neuland und Mondlandschaften.
Eine andere, auch in Basel gezeigte Arbeit, hatte schon ganz ähnlich funktioniert. "Where She is at" zeigt eine junge Frau im Bikini in einem Schwimmbad auf einem Sprungturm. Zeigt ihr Hadern und Zögern, zeigt die wartenden Blicke der Badenden und ihren Sprung. Entstanden ist das Video im Naturschwimmbad Ingierstrand etwas außerhalb von Oslo. Kühne nordische Architektur, die damals, 2001, kurz vor ihrem Abriss stand. Wieder also treffen sich diese beiden Erzählungen, das Handeln der Menschen und eine Ethnografie der Moderne.
Alles ist bedeutsam. Und doch ist nichts so bedeutend, dass das Nichtwissen darum zu einem Ausschlusskriterium werden könnte. Im Gegenteil: Johanna Billings Arbeiten funktionieren poetisch und radikal inklusiv. Oder, wie es die 1973 in Jönköping geborene Künstlerin auf einer der diversen Myspace-Seiten erzählt, die sie wahlweise ihren Videoarbeiten, ihrer Musik oder ihrem eigenen Plattenlabel Make it Happen gewidmet hat: "No to competition, Yes to more for all."
Überhaupt Myspace. Wer nach Johanna Billing sucht, wird sie am allerehesten dort treffen. Wird eine Musikerin, eine Labelbetreiberin und eben eine Künstlerin entdecken. Wird sich, die Ästhetik und die Umtriebigkeit betreffend, vielleicht an das kanadische MusikerInnenkollektiv "Broken Social Scene" erinnert fühlen. Schnell merkt man, dass sie kein weiblicher Rodney Graham ist, keine Künstlerin und auch noch Musikern. Eher findet man den Autorenmythos der Spätmoderne, Kunst, Pop, akademische Diskursivität, Alltag, alles ist ineinander verwoben.
In der Moderne war das Konzept Band einmal zu einem bevorzugten Glamour- und Bedeutsamkeitsprojekt der Kunst geworden. Man bewunderte den Pop für seine Unmittelbarkeit und für die Aufmerksamkeit, die er zu erzeugen in der Lage war. Für die riesigen Bühnen und das riesige Publikum. In gewisser Weise, und dafür steht die Künstlerin Johanna Billing, hat sich dieses Verhältnis umgekehrt. Es ist der Kunstbetrieb, der heute die Aufmerksamkeit und die Öffentlichkeit erzeugt. Auch und gerade, wenn Johanna Billing einmal nichts anderes macht, als sich und ihre Freunde gemeinsam im Tonstudio zu filmen.
"You dont love me yet" heißt die daraus entstandene Arbeit. Wieder eine Coverversion, diesmal von Roky Erickson und gemeinsam mit dem Soundtrack zum Video "Magical World" rechtzeitig zur Baseler Ausstellung als Vinylplatte auf dem Münchner Label Apparent Extent erschienen. Die Platte übrigens konnte nur veröffentlicht werden, weil sich zwei Galerien an den Produktionskosten beteiligt haben. Die Kunst finanziert den Pop. Aber Johanna Billing mag diese Grenze ohnehin nicht ziehen.
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