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taz FUTURZWEI

Jörn Kabisch über Wirtshäuser Soziale Gemütlichkeit

Gastlichkeit hatte in Deutschland einst Weltniveau. Und zwar ausgerechnet wegen der Wirtshäuser. Es wird Zeit, dass wir uns daran erinnern.

»Schnaps und Bier als sozialer Kitt« Foto: Manuel Nieberle/Connected Archives

Von Jörn Kabisch

„Nimm Essen mit, wir fahren nach Brandenburg“, sang Rainald Grebe einst. Fünfzehn Jahre ist das her. Inzwischen hat das Umland von Berlin aufgeholt, die Region zeigt langsam, warum man sie einst Berliner Speckgürtel nannte. Trotzdessen habe ich in diesem Sommer wieder öfter an die Liedzeile gedacht. Und dass sie eigentlich umgetextet gehört: „Nimm Essen mit, wir fahren aufs Land.“Zum Beispiel Franken. Ich bin in diesem Sommer viel durch die Gegend gereist. Nirgendwo gibt es mehr Brauereien. Und auch die Gasthöfe sind dicht gesät, in manchem Orten gibt es davon mehr als öffentliche Mülleimer. Aber nicht mehr viele stehen offen.

Corona hat wie die Pest gewütet. Das führt zu ganz skurrilen Situationen. Zum Beispiel, dass ich in einer ganz gewöhnlichen Dorfwirtschaft, die nicht mehr als Jägerschnitzel und Buletten auf der Karte hat, wegen der fehlenden Reservierung abgewiesen werde. Oder Biergärten besuche, wo die Hälfte der Tische mit Flatterband abgesperrt ist. „Zu wenig Personal“, erklärt der Wirt die Zwangsquarantäne. Verkehrte Welt: Seit Jahrzehnten wird landauf, landab über das Wirtshaussterben geklagt, nun muss, was an Lokalen übrig geblieben ist, sich die Gäste so gut es geht vom Leib halten.

Lange hing dem Gasthof der Ruf an, verstaubt und spießig zu sein. Und ja, wahrscheinlich war er auch die Wärmestube einer sich längst überlebten Männerkultur, bestehend aus Bier, Schnaps und Stammtischschild. Ist es damit etwa vorbei? Braucht er keinen gastronomischen Artenschutz mehr, den sich in der Vergangenheit viele wünschten?

Schmelztiegel der Kulturen und Schule des Geschmacks

Es gibt schon lange eine Renaissance, sagt einer der es wissen muss. Und überhaupt hätten diese Vorurteile, dass das Gasthaus ein Hort der Engstirnigen und Bornierten sei, noch nie gestimmt. Dieser Mann heißt Erwin Seitz. Und er hat ein dünnes, aber höchst instruktives Buch über das Thema geschrieben. Es heißt Das Gasthaus. Ein Heimatort (Insel-Verlag, 136 Seiten, 14 Euro). Seitz beschäftigt sich schon seit Jahren mit der Geschichte der Gastlichkeit in Deutschland. Ja, die gibt es. Und das Gasthaus ist dabei immer ein Schmelztiegel der Kulturen und eine Schule des Geschmacks gewesen, bis ins Mittelalter. Gerade zu der Zeit, erzählt Seitz, sei die deutsche Gastronomie von Weltrang gewesen. Mondän, erfolgreich, state of the art für ganz Europa.

Seitz macht das an Wesensmerkmalen fest, die lange geradezu als archetypisch für eine sich nach außen verschließende Gemütlichkeit standen. Die Wirtsstube mit Wandbank, Holzvertäfelung und Kachelofen. Genau diese Elemente aber begeisterten vor Jahrhunderten die Reisenden: Unterwegs zu sein war zu Pferd, zu Fuß oder auch später in der Eisenbahn ausgesprochen ungemütlich. Ofen und die Bretter an den Wänden verströmten eine Wärme, die vor allem von Reisenden aus den südlicheren Ländern begierig aufgesogen wurde. Die Wandbank beschreibt Seitz als ein Relikt der keltischen Kultur, ein protodemokratisches Möbel, dass alle Gäste auf Augenhöhe zusammenspannte und so für einen dichten sozialen Moment sorgte.

Seitz öffnet einem die Augen dafür, dass Gemütlichkeit im Wirtshaus gesellschaftliches Antriebsmittel war. Große Tische und lange Bänke, waren zu groß, um sich selbst bei Essen und Trinken genug zu sein, sie luden zu neuen Zusammenhänge ein. So gesehen ist das Gasthaus genau besehen ein Anti-Stammtisch, nämlich ein Begegnungs- und deshalb sogar ein Freiheitsort. Keine andere gastronomische Lokalität, weist Seitz nach, war in ihrer Geschichte so niedrigschwellig, so gleichgültig gegenüber dem sozialen Ansehen und Status seiner Gäste. Alle sind willkommen. Und genau deswegen bescheinigt Seitz dem Gasthaus auch noch eine große Zukunft. Was wirklich gestorben ist, schreibt er, ist die Schankwirtschaft, das Etablissement, wo Schnaps und Bier den sozialen Kitt ausmachten.

Orte, an denen sich Menschen zwanglos treffen können

Der Gasthof als öffentliches Wohnzimmer. Das wird nach der sozialen Quarantäne wieder zum Modell, nicht nur auf dem Land, auch in den Städten. Dort fehlen inzwischen Orte, an denen sich Menschen zwanglos treffen können, ohne groß aufs Geld sehen zu müssen. Stattdessen ächzen die Parks unter dem Andrang. Für eine junge Generation ist die Wiese die neue Wandbank, der Parkbaum der Kachelofen. Essen und Getränke holt man sich vom Imbiss oder bringt ein Lieferdienst unter die Linde. Die städtischen Grüns sind die letzten Orte, die noch nicht durchmonetarisiert sind. Andere Plätze in der Stadt dagegen werden teurer und teurer, auch das lässt eine neue Liefergastronomie entstehen, samt „Ghost Kitchens“ in Kellern und Hinterhöfen. Sie sparen sich jeden Cent für die Bewirtung, sie stellen keinen einzigen Stuhl selbst auf, an denen ihre Gäste Platz nehmen. Stattdessen stützt sich ihr Geschäftsmodell genauso auf den öffentlichen Raum wie das der Sharingdienste. Nachhaltig ist das nicht, vor allen Dingen nicht in der Masse. Ich setze darauf, dass der Baum oder die Parkbank irgendwann zu unbequem werden.

Wenn in den Städten Gourmetrestaurants eröffnen, auch darauf weist Erwin Seitz hin, nehmen sie sich inzwischen für die Einrichtung vermehrt das Wirtshaus oder die französische Brasserie als Vorbild, auch wenn auf der Karte alles andere als Schweinebraten und Käsespätzle stehen. Die Corona-Vorschriften der letzten eineinhalb Jahre beißen sich jedoch mit der Einrichtung – nirgendwo sind gläserne Trennscheiben so auffällige Fremdkörper wie auf langen Holztischen.

Gemütlichkeit hat ein soziales Moment, wir sollten uns wieder darauf besinnen.

Dieser Beitrag ist in taz FUTURZWEI N°19 erschienen.